Fairplay statt Mobbing

Mobbing an Schulen ist weit verbreitet. Zur Prävention hat Herbert Scheithauer von der FU das Programm Fairplayer entwickelt. Lilli Williams hat sich erkundigt, was Schüler zu Fairplayern macht.

Vom Opfer zum Verteidiger: Das Programm "Fairplayer" möchte Mobbing und Gewalt an Schulen vorbeugen.  Foto: Fabienne Bieri

Vom Opfer zum Verteidiger: Das Programm “Fairplayer” möchte Mobbing und Gewalt an Schulen vorbeugen. Foto: Fabienne Bieri

Jan begrüßt seinen Klassenkameraden Jörg. Genauer gesagt, er schlägt Jörg einmal kurz mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. Weiß Jan nicht, wie eine nette Begrüßung aussieht? Die Lehrerin nimmt Jan zur Seite, will mit ihm ein ernstes Wort reden. Für die Lehrerin ist Jan offenbar der Übeltäter und Jörg das Opfer, das geschützt werden muss.

Wird die gutgemeinte Intervention der Lehrerin verhindern, was sie verhindern will? „Durch das Einschreiten der Lehrerin werden den beiden Schülern implizit die sozialen Rollen des Täters und des Opfers zugewiesen“, sagt Herbert Scheithauer, Entwicklungspsychologe an der Freien Universität Berlin. Jörg bekommt vielleicht immer wieder einen morgendlichen Klaps auf den Hinterkopf. Denn Zuschreibungen wie die der Lehrerin können begünstigen, dass Jan und Jörg auf Dauer die Täter- bzw. Opferrolle einnehmen und es ihnen nur schwer gelingt, sie wieder zu verlassen. Womöglich kommt es sogar zu systematischem Mobbing. Außerdem kann die Lehrerin andere Mechanismen nicht berücksichtigen, wenn sie nur die beiden Schüler im Blick hat. Dem „Participant Role Modell“ der Pädagogischen Psychologie zufolge kann es Mobbing nämlich nicht ohne Mitläufer geben.

Vom Täter zum Verteidiger

Scheithauer hat ein Anti-Mobbing Programm entwickelt, das die Bedeutung dieser sozialen Rollen besonders berücksichtigt. „Fairplayer“ soll Pädagogen dabei unterstützen Mobbing an Schulen und Sportvereinen vorzubeugen. Das elfstufige Manual des Programms richtet sich an Schüler der 7. bis 9. Klasse. Seit 2004 wird es erfolgreich in Schulen in Berlin und Bremen eingesetzt.

Eine zentrale Methode des Programms ist das Rollenspiel. Schüler können erleben, wie es sich anfühlt, jemand anderes zu sein. Stephan Warncke, Mitarbeiter am Arbeitsbereich für Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie berichtet von Schülern, denen zum ersten mal klar wurde, wie schlimm es ist von anderen beleidigt oder ausgeschlossen zu werden. „Im Rollenspiel können auch neue Verhaltensweisen ausprobiert werden. Der Täter kann sich z.B. als Verteidiger eines Opfers erleben, bekommt Applaus und die Möglichkeit in der Klasse eine neue Rolle einzunehmen“, so Warncke.

Jede Schule braucht Anti-Mobbing Programme

Was die Schüler durch Trockenübungen in der Klasse gelernt haben, soll außerhalb des Unterrichts in echten Konfliktsituationen angewandt werden. „Wir hatten zum Beispiel einmal eine Berliner Schülerin, die aufgrund ihres Migrationshintergrunds von ihren Mitschülern gehänselt wurde. Seit sie zusammen mit ihrer Klasse am Programm Fairplayer teilgenommen hat, steckt sie nicht mehr in der Opferrolle, sondern sieht sich jetzt auch als Verteidigerin“, so Scheithauer. „Mobbing gibt es an jeder Schule“, erklärt Stephan Warncke, „die Folgen reichen von Kopf- und Bauchschmerzen, über Schulangst bis hin zum Selbstmordversuch.“

Obwohl sich viele Schulen die Förderung sozialer Kompetenzen und Zivilcourage auf die Fahne geschrieben hätten, seien Bildungsstrukturen nicht darauf ausgerichtet, meint Scheithauer. Aus seiner Sicht sollte es an jeder Schule nachhaltig verankerte Programme und Strategien gegen Mobbing geben.

Dieser Ansicht ist auch die Deutsche Bahn. Das Unternehmen unterstützt Fairplayer schon seit 2011 mit etwa einer halben Million Euro. 2014 kommen 150.000 Euro für die Ausbildung neuer Multiplikatoren hinzu. Es ginge darum eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen, „Zivilcourage zu kultivieren, damit Gewalt erst gar nicht entsteht“, sagt eine Sprecherin der Bahn, schließlich seien auch Bahnhöfe und Bahnfahrer vor Jugendlichen, die in der Schule auf andere Schüler losgehen, nicht sicher.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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