„Du bist der Roman“

Sarkastisch, gut gelaunt und am Leser interessiert: So zeigten sich die drei erfolgreichen Schriftsteller Georg Klein, Yoko Tawada und Michail Schischkin im Gespräch an der FU. Von Maik Siegel

Chris Fenwick, Michail Schischkin, Yoko Tawada und Georg Klein im Gespräch.

Chris Fenwick und seine drei Gäste Michail Schischkin, Yoko Tawada und Georg Klein im Gespräch. Foto: Fabienne Bieri

Michail Schischkin sitzt neben seinen Schriftstellerkollegen und schaut traurig in den prall gefüllten Seminarraum. „Ich weiß nicht, was ein Roman ist“, sagt er schleppend. „Ich fühle mich am Anfang eines jeden Romans verloren. Wie man einen schreibt, hat mir nie jemand gesagt.“ Sein Kollege Georg Klein bezeichnet den Roman gar als „Unform“. Dennoch hat jeder in der Runde das Ungetüm schon virtuos bezwungen, davon zeugen zahlreiche Tapferkeitsmedaillen: Georg Klein erhielt 2010 den Preis der Leipziger Buchmesse für „Roman unserer Kindheit“, Yoko Tawada 2005 die Goethe-Medaille für ihr Gesamtwerk und Michail Schischkin 2000 den russischen Booker-Preis für „Die Eroberung von Ismail“.

Zum Gespräch am Montagabend hatte Chris Fenwick geladen, Doktorand der Friedrich Schlegel-Graduiertenschule. Mit „The Novel Today“ überschrieben war der Abend zwar prädestiniert, an seinem Anspruch zu scheitern. Doch Fenwick gelang es mit geschickten Fragen, den drei Romanciers einige ungewöhnliche Gedanken zur erfolgreichsten Form der Literatur zu entlocken. „Der Roman ist ein Fahrzeug, von dem du getragen wirst“, antwortete Yoko Tawada auf die Frage nach den Gründen des Erfolgs. „Du musst denken: Alle werden sterben, und du brauchst deine Arche Noah, um zu überleben – das ist dein Roman“, erklärte Schischkin die schmerzhafte Entstehung eines Werkes. Und Georg Klein sprach vom „Kaninchen Autor“ und „der Schlange Weltliteratur“, als es um Wirksamkeit des Romans in globalisierten Buchmärkten ging.

Wer ist der Leser?

Literaturwissenschaftliches Vokabular bekamen die vielen Studenten kaum zu hören, die unausweichliche Frage nach der Stellung des Romans in der Postmoderne wimmelten alle drei eilig ab. Und gaben sich stattdessen publikumsnah: Statt poststrukturalistischer Theorien des Romans trieb alle drei vielmehr die Frage nach dem Leser um. Besonders Klein und Schischkin waren sich in dieser Frage uneinig und sorgten so dafür, dass die Stimmung im stickigem Seminarraum nicht schläfrig wurde: Während sich der im Exil lebende Russe beim Schreiben einen Idealleser imaginiert, rechnet Klein mit dem Genre-Leser, dem eskapistischen Leser, dem „bösen“ Leser – vor dessen strenger Erwartungshaltung man sich in Acht nehmen müsse. Tawada dagegen erwarb Sympathien beim Publikum mit ihrem Geständnis, sie liebe die Germanisten, die seien die genauesten Leser.

Neben aktuellen Fragen wie der Zukunft des Romans (es sieht gut aus), des Aufkommens von Kindle & Co. (nicht geschätzt) und der Chancen für junge Autoren (düstere Aussichten) boten die drei ein unterhaltsames Kabinettstück mit scheinbar festgelegten Rollen: Die höfliche Tawada wollte niemandem widersprechen und schien im Geiste noch bei ihrem neuesten Roman zu sein, der eigentlich am gleichen Tag hatte fertig werden sollen. Klein gab den gutgelaunten Geschichtenerzähler aus den Wirrungen des Literaturbetriebs und Schischkin schließlich den desillusionierten Autor, der an seinem Heimatland verzweifelt. Er war es auch, der an diesem Abend den emotionalsten Blick auf das Werk eines Schreibenden warf: „Beim Lesen deiner eigenen Romane erinnerst du dich daran, wie diese Worte zu dir gekommen sind. Du bist der Roman.“

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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