Ein Austausch, zwei Gedenkkulturen

Erstmals hat die Freie Universität den zentralen Lehrpreis verliehen. Ausgezeichnet wurde ein deutsch-israelisches Austauschprojekt, das sich mit dem Umgang mit dem Holocaust in beiden Ländern befasst. Von Mirja Gabathuler

Studenten und Initiatoren bei der Verleihung des Lehrpreises. Foto: Mirja Gabathuler

Studenten und Initiatoren bei der Verleihung des Lehrpreises. Foto: Mirja Gabathuler

Wie entsteht aus Erinnerung Geschichte? Ein israelischer Student wird auf diese Frage wohl eine andere Antwort finden als ein deutscher. „Während in Deutschland die Tendenz besteht, Geschichtsschreibung von Gefühlen zu befreien, wird Erinnerung in Israel sehr emotional verhandelt“, erklärt Martin Lücke, Professor für Fachdidaktik der Geschichte, der am vergangenen Dienstag den ersten Lehrpreis der FU entgegennahm. Er bedauert, dass die Geschichte des Holocaust an Schulen bisher eher einseitig aus deutscher Sicht vermittelt wird: „Für eine authentische Lernerfahrung ist neben der deutschen auch die israelische Sicht notwendig.“

Gemeinsam mit Dan Porat von der Hebräischen Universität Jerusalem hat er deshalb das Austauschprojekt „Remembrance and Public History“ ins Leben gerufen: Dieses ermöglicht einer Gruppe von deutschen und israelischen Lehramts-Studierenden, vor Ort einen Einblick in die jeweilige Gedenkkultur des Landes zu bekommen. Im April besuchten 15 Studierende der FU eine Woche lang ihre israelischen Kommilitonen, der Gegenbesuch in Berlin steht im August an. Vorbereitet wurde der Austausch im vergangenen Semester durch ein Seminar und ein freiwilliges Tutorium. Um dem kulturellen Unterschieden auf die Spur zu kommen, verglichen die Teilnehmer beider Länder etwa deutsche und israelische Geschichtsbücher und tauschten sich via Skype über die neusten Erkenntnisse aus.

Unterschiedliche Zugänge zum Gedenken

In Israel besuchten die Studenten unter anderem das Yad Vashem-Denkmal in Jerusalem und diskutierten über die verschiedenen Möglichkeiten, dem Holocaust zu gedenken. Manche Gespräche seien auch sehr schwierig gewesen, darin sind sich viele Teilnehmer einig. Etwa die Diskussion über die in Israel gängige Praxis, an Gedenkorten nationale Symbole wie Länderflaggen zu zeigen. Aufgrund der Vergangenheit wird die Flagge hierzulande an Gedenkorten selten oder nur mit Unbehagen gehisst. In den Gesprächen habe man daneben auch viel Persönliches erfahren, erzählt Germanistikstudent Tim König: „Viele der israelischen Studenten haben selbst Großeltern, die vom Holocaust betroffen waren.“

Zudem wurde während des Austauschs deutlich, wie wichtig es ist, bereits auf Schulebene Verständnis für kulturelle Unterschiede zu schaffen. Als Beispiel nennt Projektleiter Martin Lücke ein Youtube-Video, in dem unter anderem zu sehen ist, wie Jugendliche in der Silvesternacht 2013 gegen die Stelen des Holocaust-Denkmals in Berlin urinieren. Der Vorfall wurde in Deutschland in keiner Zeitung erwähnt. In Israel dagegen erregte er Besorgnis, weil er zu Recht als Schändung des Denkmals empfunden wurde. Als Ergebnis des Austauschprogramms wurden neue Unterlagen für den deutschen und israelischen Schulunterricht erarbeitet, die in Kürze auf der Homepage „historycultures.de“ zugänglich sein werden. Für den Aufbau dieser Plattform wird nun auch das Preisgeld von 10.000 Euro eingesetzt. Außerdem soll das Seminar in Zukunft jährlich angeboten werden.

Kritische Gewinner

Universitätspräsident Peter-André Alt lobte das Projekt bei der Übergabe des Lehrpreises als besonders kreatives Lehrkonzept. Die Teilnehmer des Austauschprogramms freuten sich zwar über die Prämierung und das Preisgeld, übten bei der Entgegennahme des Preises aber auch Kritik an der Universitätsleitung. Die 19 weiteren eingereichten Projekte müssten weiterhin um ihre Existenz zittern, sagte Mathestudent Malte Elling: „Der Lehrpreis ist erfreulich für uns, aber er bringt dem Großteil der Studierenden nicht viel.“ Außerdem verschärfe die Exzellenzinitative, in die der Lehrpreis eingebettet ist, den bereits seit Einführung der neuen Prüfungs- und Studienordnung bestehenden allgemeinen Leistungsdruck. Unter den anwesenden Studenten im Saal fand diese Kritik hörbar Anklang. Projektleiter Martin Lücke wies zudem in seiner Ansprache darauf hin, dass er für sein nun hochgelobtes und preisgekröntes Projekt zu Beginn beinahe keinen Lehrauftrag erhalten habe.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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