Selbstgefangen – Selbstgehangen

Tagebuchnotizen und WG-Gespräche: Verzettelt sich die junge Literatur in ihrer Selbstbezogenheit? Christopher Gripp schaute auf der U30-Lesung in Neukölln vorbei und versuchte sich ein Bild zu machen.

Viktor Witte liest aus seinem bald erscheinenden Roman "Ich bin hier". Foto: Elisabeth Botros

Viktor Witte liest aus seinem bald erscheinenden Roman “Ich bin hier”. Foto: Elisabeth Botros

Es war wieder voll im Hinterraum der Kneipe Laika in Neukölln. Das junge Publikum drängte sich gemütlich zusammen, um den bei der vierten Ausgabe der Lesung U30 – Neue Literatur für Berlin präsentierten Texte zu lauschen. Fünf junge Autoren lasen je einen kurzen Prosatext und stellten sich anschließend den kurzen Fragen der Moderatorinnen.

Raus aus dem stillen Kämmerchen

Wer künstlerisch tätig ist, weiß, dass solche Veranstaltungen und Projekte unabdingbar sind. Unabdingbar deshalb, weil durch sie kleine Orte der Öffentlichkeit geschaffen werden, die sich unterscheiden vom stillen Kämmerchen. In dem sitzt der Kunstschaffende zumeist allein, sieht nur sich und sein Werk, welches höchstens seinen gewöhnlich wohlgesinnten Freunden präsentiert wird. Einen Ort der Öffentlichkeit zu schaffen war auch der dezidierte Wunsch der beiden Veranstalterinnen. Denn: Viele junge Menschen schreiben, ihre Arbeiten aber schlummern in Schubladen, werden mitunter nie zu Gehör gebracht.

Unbekannt doch anerkannt

Was jedoch an diesem Abend auffiel: Die meisten Autoren können bereits einige Leseerfahrung vorweisen, haben bereits veröffentlicht, Preise gewonnen. Das sei ihnen freilich gegönnt, doch widerspricht es in Teilen der Idee eines solchen Abends. Und für die bereits vorhandene Anerkennung fehlte es den Texten dann stellenweise unerwartet an handwerklichem Können und literarischer Erzählweise. Auch zeichneten die Texte mitunter etwas kitschige Bilder: zum Beispiel, wenn Saskia Trebing den Nebel auf der Wasseroberfläche mit dem über einem Zaubertrank vergleicht. Dem letzten Vorträger, Thomas Köck, mangelte es wiederum an Handwerk nicht. Aber gerade sein Text konnte inhaltlich nicht überzeugen: Er erzählte nichts, erzählte vielmehr nur, um zu erzählen und so reicht der Text an keiner Stelle über sich hinaus.

Blick über den Tellerrand des Ichs

Ungeachtet der Tatsache, dass jede Generation immer mit leichter Skepsis auf die Nachfolgende schaut, taucht innerhalb der Literaturkritik oft der Vorwurf auf, junger Literatur fehle es an Belang. Deren Protagonisten vermochten den Erfahrungsraum des Autors oder Publikums nicht zu übersteigen. Leider bestätigten die meisten Texte des Abends diese oft auch ungerechtfertigte Wertung – nur selten treten deren Protagonisten aus ihren selbstreferentiellen Alltagssphären hervor, reden über Körperbilder, Geldnot und so etwas wie Liebe. Lichtblick ist der Text von Josta van Bockxmeer: Ihre Protagonistin ist nicht eine von uns, sondern ein junges Mädchen, das in Amsterdam ohne Mutter aufwächst und sich die Zeit mit einer Freundin vertreibt, Fahrrad fährt, lacht. Die transportierten Gefühle wirken aufrichtig, nicht konstruiert.

Es sind solche Arbeiten, die mit den Vorurteilen gegen junge Literatur aufzuräumen vermögen. Denn sie kann mehr als öde WG-Geschichten erzählen. Das Auffinden solcher Perlen im Wust der ewigen Egozentrik lohnt den Gang zur Lesung.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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2 Responses

  1. Savi sagt:

    Der Kritiker klammert sich krampfhaft am Gebaren alteingesessener und trendbewusster Nörgelexperten fest. Irgendwie scheint es nie aus der Mode zu kommen, sich über die angebliche Beschränktheit und mangelnde Welthaltigkeit junger Literatur zu beklagen. Eine Haltung, die selbst öde und einfältig daherkommt. Von dem selbst verursachten Widerspruch, dass es bei all der Selbstreferenzialität immerhin ein Lichtblick sei, wenn eine in Amsterdam geborene Autorin über ihre Heimatstadt schreibt, einmal ganz zu schweigen. Alles in allem erweckt der Verfasser unweigerlich den Eindruck, er habe nicht wirklich zugehört. Dann hätte er nämlich besser erkannt, dass ihm aus den fünf Texten des Abends fünf durchaus gut unterscheidbare Lebenswelten und Tonlagen entgegen traten.

    • Marcel sagt:

      Meinem Vorredner ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, er spricht mir aus der Seele und deshalb möchte ich seinen Worten Nachdruck verleihen und hoffen, dass das restliche Publikum mit anderen Ohren zugehört hat.

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