Eigentlich hat Knut keinen Grund zum Lachen. Trotzdem grinst er schief, als er einem Kollegen, der beim Abbau seines Bücherstands hilft, seinen Geldbeutel entgegenstreckt: „Guck mal, nichts drin.“ Nur zwei, drei Scheine und vereinzelte Münzen sind am Ende des Arbeitstages darin zu sehen. Das Lächeln auf Knuts Gesicht erlischt. Er wirkt verdrossen und resigniert. „Wenn die Umsätze so bleiben, bin ich nächstes Jahr nicht mehr hier.“
Kaum vorstellbar, dass vor dem Eingang zur Mensa II einmal keine buchbepackten Tische und Kisten mehr stehen könnten – auch für Knut. Seit 15 Jahren verkauft er Bücher in der Otto-von-Simson-Straße. Früher gab es hier eine kleine studentische Einkaufspassage, in der dutzende Studierende durch die Stände für Büromaterialien, Zeitungen, CDs und Schallplatten schwirrten. „Da konnte man hier richtig Geld verdienen“, erinnert Knut sich. „Um zehn waren die Tische schon fast leergeräumt.“ Sieben Buchhändler teilten sich das Einkaufspublikum. Heute ist Knut alleine mit seinem Stand und muss zu Feierabend dennoch die meisten seiner 4000 ausgestellten Bücher in den Autoanhänger an der gegenüberliebenden Straßenseite packen, wo sie über Nacht lagern.
Was aus ihm würde, wenn sein Stand geschlossen werden sollte, weiß er nicht. Bei Regen, Schnee oder drückender Hitze steht Knut von Montag bis Freitag, von 10 bis 16 Uhr an seinen Auslagetischen. „Einen anderen Job kann ich mir kaum vorstellen“, gesteht er achselzuckend.
Dabei war Beständigkeit nie seine Stärke: Nach zehn Jahren Schule hatte Knut genug von den herkömmlichen Bildungseinrichtungen, ein Studium sei für ihn nie in Frage gekommen. Lieber wollte Knut das Arbeitsleben kennenlernen: Fensterputzer, Kneipenbesitzer, Kloputzer. „Ich war alles mal“, überlegt er laut. Dann grinst er. „Alles, außer Schlipsträger.“
Knuts Einnahmen stagnieren
Die Jobs wechselten, seine große Leidenschaft blieb: das Lesen. Knuts Liebe zur Literatur entbrannte, als er mit 13 zum ersten Mal Nikolaj Gogols „Die toten Seelen“ las. Seitdem hat Knut nach eigenen Angaben mehr als 300 Bücher gelesen. Bei weitem nicht genug, findet er. Nach seinen Lieblingsautoren gefragt, überschlägt sich seine Stimme: von Sartre bis Nietzsche, Keller bis Hobbes – ein langer und vielfältiger Schwall von Schriftstellern bricht aus ihm heraus. Wenn er über die Wunder der deutschen Sprache, Seefahrerromane und moderne Belletristik redet, wirkt der sonst so raue 56-Jährige sanft, fast kindlich.
Dennoch war es der Zufall, der Knut vor 20 Jahren zum Buchhändler Kisch & Co. führte; Bekannte aus seiner Zeit als Kneipenwirt hatten den Kontakt hergestellt. Nach fünf Jahren zwischen Ladenwänden schickte ihn sein Chef 1999 schließlich vor die Freie Universität, um Bücher günstig an die Studierenden zu bringen.
Seitdem beobachtet er hier den Wandel des universitären Lebens. „Der Blick der Leute in die Welt wird enger“, konstatiert der gebürtige Berliner. Amazon, Smartphones, Black Board – der Alltag hängt immer mehr von Displays ab. Mittlerweile gehen die meisten Studierenden desinteressiert an den Auslagetischen vorbei oder werden beim Stöbern vom Klingeln ihrer Handys unterbrochen.
Profit macht Kisch & Co. hier schon lange nicht mehr. Wie viel er am Tag einnimmt oder im Monat verdient, möchte Knut nicht verraten. Doch er wiederholt immer wieder, dass die Einnahmen in den letzten zehn Jahren um 95 Prozent geschrumpft seien. Der Stand werde nur noch „aus Nostalgie“ weiter betrieben – „und weil mein Chef eine soziale Ader hat“. Doch selbst das sei wohl bald nicht mehr ausreichend, erklärt der Buchhändler mit einem bitteren Lächeln.
Geizige Studierende
Dabei seien die Bücher bei ihm so günstig wie nirgends sonst. Den Studierenden aber ist das nicht genug. „Früher haben sie sich über die niedrigen Preise gefreut, aber heute wird um jeden Buchpreis, egal wie billig, noch gefeilscht.“ Halbherzig beteuert Knut, Verständnis für studentischen Übermut und jugendliches Temperament zu haben. Sein genervtes Augenrollen spricht eine andere Sprache.
Wieso der Einbruch der Einnahmen, wieso das schwindende Interesse? Der Bücherfreund sieht die Schuld bei der Überflussgesellschaft: „Es herrscht eine Sattheit.“ Die Wertschätzung für die Arbeit anderer nehme konstant ab, die Bedeutung von Geld hingegen zu. Keine Überraschung, dass er sich mit überkreuzten Armen und einem selbstgefälligen Kopfnicken im Stuhl zurücklehnt und verkündet: „Für mich ist Geld nur Mittel zum Zweck.“ Ein zweites Thema, bei dem er in Fahrt kommt. Werbeplakate, Fernsehen, Internet – für Knut alles Instrumente einer Gesellschaft, in der Menschen nur Käufer sein sollen.
Denkt er allerdings darüber nach, dass er bald hier weg sein könnte, verfliegt Knuts kämpferischer Elan. Achtlose Studierende und sinkende Umsätze hin oder her, ein wenig fühlt er sich der Universität wohl doch verbunden. „Na ja, das Leben ändert sich ja ständig“, sagt er zwar mit gleichgültiger Miene. Doch dann folgt etwas, das bei Knut selten ist: Schweigen?
@Redaktion: Erhat wahrscheinlich mehr als 3000 (nicht 300) Bücher gelesen?