Der Genitiv ist das Sorgenkind der deutschen Grammatik. Für optimistische Aussichten im Überlebenskampf sorgte die FU-Tagung „Germanic Genitives“. Cecilia Fernandez verfolgte die Diagnose.
Eine gehörige Portion Kulturpessimismus gehört heutzutage zur guten Etikette, wenn wir über die Entwicklung unserer Sprache sprechen. Kaum eine Kritik schickt sich dabei mehr, als jene am angeblichen Tod des Genitivs. Dativkonstruktionen klingen ungezwungener, die neuen Medien stellen Schnelligkeit vor Gründlichkeit und grundsätzlich sind wir Deutschsprachigen aus Sicht der Linguisten auch einfach faul. Daher machen wir uns auch nicht die Mühe, ein „s“ an ein Wort zu hängen, wenn von dem Satz die Bedeutung jeder ja auch so versteht.
Ein eingebildeter Kranker?
Nicht ganz so aussichtslos sahen die Teilnehmer der Tagung „Germanic Genitives“ die Lage, die sich vom 23. bis zum 24. Mai an der FU trafen, um über die Situation des deutschen Genitivs zu diskutieren. Zum Teil war dieser Optimismus jedoch auch nur der Tatsache geschuldet, dass die Frage nach des grammatikalischen Sorgenkindes Aussterben programmatisch umgangen wurde. Stattdessen wollten die Vortragenden andere besondere Phänomene aufzeigen und ihre Studien vorstellen – nicht etwa ständig den schwächelnden Puls ihres Forschungsobjekts bedauern.
Doch der unterschwellige Schwanengesang des Genitivs war aus den Vorträgen nicht wegzudenken. Immerzu ging es den Linguisten darum zu verstehen, weshalb Sprecher des Deutschen, Englischen oder Niederländischen häufig andere Fallkonstruktionen bevorzugen oder zur Auslassung der Genitivmarkierung „s“ tendieren, indem sie etwa stärker auf das Überleben „des Genitiv“ als auf das „des Genitivs“ hoffen.
Die Erklärungen sind so vielfach wie simpel: Oft seien regionale Mundarten dafür verantwortlich, oft auch die phonetische Zusammensetzung des Wortes. Doch vor allem hinterfragen Sprecher und Schreiber ständig die Funktion des Kasus und ließen ihn aus, wenn er aus ihrer Sicht die Kommunikation nicht bereichere.
Weniger ist mehr
Neu ist diese Entwicklung nicht. Allenfalls handele es sich um eine chronische Erkrankung des Sprachgebrauchs, erklärt der Doktorand Christian Zimmer von der FU in seinem Vortrag. Er widmet sich den oftmals als sprachliche Krankheitserreger empfundenen Fremdwörtern. Die verschwindende Genitiventwicklung ist Zimmers Untersuchungen zufolge keine außergewöhnliche Sprachentwicklung. Nicht unsere Bequemlichkeit verursacht die Auslassung, sondern der ständige Versuch, maximale Verständlichkeit herzustellen. So werden Fremdwörter kurz nach ihrer Einführung ins Deutsche zunächst noch nicht flektiert, damit das ohnehin neuartige Wort nicht entfremdet werde. Deshalb war es in der Frühen Neuzeit üblich, „des Drama“ statt „des Dramas“ zu schreiben. Ähnlich verhält es sich mit Akronymen wie „Pkw“. Wir öffnen lieber „die Fenster des Pkw“ als „des Pkws“ um Verwirrung zu vermeiden. Denn bei einen Wort, das sich ohnehin nur aus drei Buchstaben zusammensetzt, birgt jeder Zusatz die Gefahr, das Wort für den Leser unkenntlich zu machen, argumentiert Zimmer.
Vor allem bei Fremdwörtern hätte der Genitiv daher aber auch gute Chancen, wieder Verwendung zu finden, wenn das Wort erst einmal fest genug in den Sprachgebrauch integriert sei. Ob dieser bescheidene Optimismus jedoch genügt, um des Genitivs Genesung zu verkünden, ist fraglich. Noch bedarf der Patient der Beobachtung.