Die Wirtschaft wirbt um Studienabbrecher. Die müssen sich nicht als Versager fühlen. Eine gute Sache, findet Matthias Bolsinger. Doch die hat auch eine Schattenseite.
Im Blickfeld der Arbeitgeber: Heute findet die Studienaussteigermesse in Berlin statt. Da Betriebe vermehrt nach Auszubildenden suchen, seien die „Aussteiger“ vor allem jetzt eine interessante Gruppe, findet der Veranstalter, die Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK).
Eines ihrer Modelle für die Integration von Studienabbrechern ist die sogenannte „duale Ausbildung“: Erbrachte Leistungen im abgebrochenen Studium erkennen die Arbeitgeber an und bieten dafür eine verkürzte Ausbildung. Eine feine Idee. Doch was bedeutet das Werben um Abbrecher für die Studierenden?
Das Positive vorneweg: Das Interesse an den Studienabbrechern, deren Zahl zwischen 2000 und 2012 um 56 Prozent gestiegen ist, rückt die Verhältnisse in der Wahrnehmung von Bildung wieder etwas gerade. Die Frage, die sich heute viele stellen: Kann man es sich noch ernsthaft erlauben, nicht zu studieren? Abiturienten nehmen oft ein Studium auf, weil „man“ das halt so macht – nur um nach drei Semestern zu merken, dass das doch nicht passt. Wie viele sich trotzdem durch die Semester quälen, ist nicht zu sagen. Klar ist: Sie leiden unter dem negativen Bild vom Abbrecher als Gescheitertem.
Die Angebote für Studienabbrecher sind da eine gute Hilfe. Sie nehmen den Studierenden die Angst, beim Ausstieg aus dem Studium auf dem Arbeitsmarkt aussichtslos zu sein. Der bewusste Verzicht auf ein Studium ist im Lebenslauf leichter als Erfolg zu verkaufen. Studienabbrecher sind so keine Versager mehr – der Abbruch ist kein Beinbruch.
Kausalitäten des Ausstiegs
Diese Botschaft hat jedoch auch ihre Schattenseite. So wichtig es auch sein mag, diejenigen ins Recht zu setzen, die ohne akademischen Abschluss den Schritt in die Lohnarbeit wagen; so sehr täuschen die Auffangmaßnahmen für Abbrecher darüber hinweg, dass viele nicht unbedingt wegen mangelnder Kompetenz oder fehlender persönlicher Eignung aussteigen.
Im Jahr 2008 veröffentlichte die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) eine Studie mit dem Titel „Der Studienabbrecher – das unbekannte Wesen. Woran scheitern die Studierenden an deutschen Hochschulen?“. Tatsächlich gab jeder fünfte der befragten Abbrecher an – deutlich mehr als im Jahr 2000 – Leistungsprobleme seien ein ausschlaggebender Grund für die Exmatrikulation. Allerdings förderte die Studie auch zutage, dass Studierende zunehmend aufgrund finanzieller Probleme und Unzufriedenheit mit der Studiensituation ihre Ausbildung beenden.
Das eine – größere Leistungsanforderungen – mag mit dem anderen – finanzielle Probleme – noch zusammenhängen: Studierende, die viel lernen müssen, können weniger arbeiten. Doch gibt die Unzufriedenheit mit der Studiensituation zu denken. Es ist an den Universitäten, ihren Studierenden Bedingungen zu bieten, die das Studium studierenswert machen. Diese Aufgabe scheinen sie zu oft zu vernachlässigen.
Wenn Angebote für Studienabbrecher bewirken, dass diese weich fallen, ist das begrüßenswert. Falsch sind sie dann, wenn jene den Universitäten die Verantwortung abnehmen, alles dafür zu tun, dass ihre Studierenden an der Universität bleiben wollen. Doch auch dann sind sie nur ein ideologisches Feigenblatt für ein Bildungssystem, dass seine Studierenden überfordert und dabei alleine lässt.