Warten auf das Leben

Die Resistenza ist beliebtes Sujet italienischer Literatur. Auch im Debütroman Paola Sorigas „Wo Rom aufhört“ wird der Partisanenkampf thematisiert. Dies jedoch aus bisher unerzählter Perspektive. Von Christopher Gripp

Vier Kulturgrößen: Bob Marley, Johann Wolfgang von Goethe, Woody Allen und William Shakespeare. Illustration: Luise Schricker

Vier Kulturgrößen: Bob Marley, Johann Wolfgang von Goethe, Woody Allen und William Shakespeare. Illustration: Luise Schricker

Ida ist siebzehn Jahre alt. Bereits als Elfjährige muss sie ihre Heimat Sardinien verlassen. In Rom kommt sie bei ihrer ältesten Schwester Agnese und dessen Ehemann Francesco unter. Ihre Eltern hatten dies entschieden: mit acht Personen unter einem Dach wurde es zu eng. Das war vor dem Krieg, der jetzt tobt. Nun ist Ida Botin bei den Partisanen und die Faschisten suchen sie, wollen sie töten.

Sie hat Angst, versteckt sich vor den Verfolgern in den Katakomben am Rande Roms. Und dort wartet sie. Wartet auf Rita, ihre Freundin und auf Francesco, den sie zu lieben glaubt. In ihrem Versteck erinnert sie sich an ihre Kindheit, dabei ist sie doch selbst noch fast ein Kind. Doch ein jeder Krieg zwingt zum Erwachsensein.

Erinnern für eine Zukunft

9783803132581-2Es ist der Blick in die Vergangenheit, die Suche nach den humanen Konstanten in den kontingenten Brüchen der Realität, die den Blick auf die jeweilige Gegenwart verändern: Wenn es schon einmal gut war, kann es auch wieder gut werden. Für Ida ist es die Zuneigung zu Antonio, die für sie auf ein mögliches Glück verweist, darauf, dass es eine Zukunft geben kann, eine bessere Zeit, nach dem Krieg. Denn der lässt die Gegenwart anwachsen zu einem Berg, der unüberwindlich scheint.

Es ist der Gedanke an den Tod in dieser Gegenwart, der die Zukunft auslöscht. Deshalb helfen Ida die Erinnerungen an ihr Leben vor dem Krieg und auch an die Erlebnisse mit Antonio, denn sie stammen aus einer Vergangenheit, die eine Zukunft besaß. Als sich schließlich im besetzten Rom die Nachricht über die baldige Ankunft der Alliierten Truppen verbreitet, scheinen die Berge und Mauern einzustürzen, verkürzt sich für die Stadt und für Ida die schreckliche Gegenwart, vergrößert sich der Erwartungsraum. Doch der zeitnahe Tod bleibt eine Wahrscheinlichkeit. Ida muss durchhalten.

Konstanten des Menschseins

Paola Soriga ist ein beeindruckendes Debüt gelungen. Es zieht seine Kraft nicht nur aus der berührenden Geschichte, sondern auch aus einem speziellen Stil: Dieser ist geprägt von Satzbrüchen, wie sie sich in der gesprochenen Sprache finden: Dabei mischen sich innere Monologe mit Paraphrasen und Zitaten aus der Vergangenheit und Gegenwart, im Spannungsfeld von Erzähler und Innenansicht, erster und dritter Person.

Idas Situation spiegelt sich stark in ihren Überlegungen. Die Entbehrungen, die sie in der Höhle zu tragen hat, verarbeitet sie produktiv: Oft ließ sie es zu, dass ihr die Dinge, die sie nicht besaß, einen so großen Schmerz verursachten, dass sie darüber alles andere vergaß, all das Schöne und Intensive, das es in ihrem Leben gab.Und tatsächlich erinnern wir uns bei der Lektüre gemeinsam mit Ida an bessere Zeiten, reflektieren dabei auch unsere eigene Zukunft und mögliche Neuanfänge.

Es sind diese Überlegungen, die immer ihre Gültigkeit besitzen. Denn Idas Gefühlsverwirrungen sind nicht allein ihrer Situation geschuldet. Wir alle waren in ihrem Alter, erkannten unsere Bedürfnisse und was uns mangelte, sorgten uns über die Zukunft, über das Erwachsenwerden. Die Rückbesinnung auf solche Momente der Unsicherheit helfen, denn sie legen auch den Blick frei auf das Schöne. In Zeiten des Krieges freilich werden solche Reflexionsbewegungen wesentliche Überlebenshilfe.

Paola Sorigas „Wo Rom aufhört“
Aus dem Italienischen von Antje Peter
Verlag Klaus Wagenbach
160 Seiten, 14,90 Euro

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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