Kitsch ist für die Ewigkeit

Mit „I Love Italy and Italy Loves Me“ ergründet Lydia Dimitrow am bat-Studiotheater in Prenzlauer Berg die Kraft verklärter Liebe. Die Dramaturgin beweist, dass Kitsch zeitlos ist. Alfonso Maestro traf die FU-Studentin zum Gespräch.

Lydia Dimitrow gibt dem Kitsch seine Berechtigung zurück. Foto: Christopher Hirsch

Lydia Dimitrow gibt dem Kitsch seine Berechtigung zurück. Foto: Christopher Hirsch

Lydia Dimitrow gibt dem Kitsch seine Berechtigung zurück. Foto: Christopher Hirsch

FURIOS: Wie bezeichnet man jemanden, der Songs, Szenisches, Lyrik, Prosa und Übersetzungen anfertigt und mit „Lauschgift“ regelmäßig eine Lesereihe im Kurt Lade Klub organisiert?

Lydia Dimitrow: Ich habe da so einen Spleen: Weil ich noch keine eigenständige Veröffentlichung habe, sage ich nie, ich sei Autorin. Weil ich bisher nur mit Magali Tosato gearbeitet habe, sage ich nie, ich sei Dramaturgin. Weil ich aber einen Roman übersetzt habe, „Bestseller“ von Isabelle Flükinger, sage ich: Ich bin Übersetzerin aus dem Französischen, die schreibt und ab und zu mit einer Regisseuren zusammen arbeitet.

FURIOS: Wieso studierst du dann Literaturwissenschaft an der FU?

Dimitrow: Das Studium hilft dabei. Viele sagen: Je mehr man forscht, desto schlechter schreibt man. Das ist bei mir nicht so. Alles was ich für meine Theaterarbeit mitbringe, habe ich im Studium gelernt – zum Beispiel, mich mit richtig schwierigen Texten auseinanderzusetzen. So konnte ich 2011 Heiner Müller inszenieren. Das Studium gibt mir das Handwerkszeug, das ich für meine kreative Arbeit brauche.

FURIOS: Mit 14 Jahren bekamst du einen Literaturpreis vom „Tagesspiegel“ und wurdest seitdem immer wieder für Stipendien und Workshops ausgewählt. Die Anerkennung fördert anscheinend deine Produktivität. Ein bisschen wie ein Wunderkind aus einem Wes-Anderson-Film, oder?

Dimitrow: Höchstens wenn ich dazu noch Cello spielend Landesmeisterin im Fechten werde! Ich fand es anfangs einfach lustig, mir Geschichten auszudenken und Stile zu imitieren. Irgendwann hat sich das Schreiben verselbstständigt. Ich würde es so formulieren: Es macht nicht immer Spaß, aber es tut gut. Es ist ein Teil von mir. Das „Treffen Junger Autoren“ bei den Berliner Festspielen 2004 war für mein Schreiben eine sehr wichtige Etappe. Außer meiner Eltern wusste damals niemand, dass ich schreibe. Eingeladen zu werden war unglaublich. Da haben plötzlich Menschen gesagt: Mach das weiter. Ich glaube, ich brauche Anerkennung insofern, als ich anderen etwas geben will. Ohne dass jemand danach fragt, übersetzt man keine 400 Seiten. Zumindest ich nicht.

FURIOS: Als Dramaturgin des bat-Stücks „I Love Italy“ verarbeitest du die Geschichte der 60-jährigen Ehe von Imperia und Gianni – den Großeltern deiner Regisseurin. Es ist gewagt, eine vertraute Biographie als Kitsch zu präsentieren.

Dimitrow: Ich weiß nicht, ob ich über meine eigenen Großeltern schreiben könnte, ob ich genug Abstand hätte. Ich habe mit Magali Tosato gemeinsam geschrieben, dabei kam die Vorlage für meine Arbeit stets von ihr und ich war froh, dass sie diese Schwelle übertreten musste. Außerdem habe ich durch die endlose Sichtung des Videomaterials, das sie von ihren Großeltern gesammelt hat, nur Figuren gesehen und keine real existierenden Personen. Interessiert hat uns, wie die beiden ihre Geschichte erzählen und wie sie ihre Lebensentscheidungen begründen. Den Entwurf eines „kleinen Lebens“ mit Gartenhaus und Ehering wollten wir mit der Kitsch – Umsetzung nicht degradieren. Wir wollen damit gerade auf einen scheinbaren Widerspruch hinweisen: Obwohl es so weit weg von uns zu sein scheint, sehnt man sich manchmal nach so einem Leben.

FURIOS: Die erfüllte Liebe wird oft mit dem Bild der Blase, des Isoliert-Seins imaginiert. Warum eigentlich immer die Insel, was ist kaputt mit dem Festland?

Dimitrow: Es ging uns um das Apolitische bei Imperia und Gianni: Sie haben sich immer für die Insel entschieden – egal, was um sie herum passiert ist. Über die Schweizer Anti-Italiener-Bewegung der 60er und 70er Jahre kann man mit ihnen zum Beispiel kaum reden. Dabei waren sie als Gastarbeiter direkt davon betroffen. Dieser massive Rückzug ins private Glück hat uns sehr interessiert.

FURIOS: Nun waren die porträtierten Großeltern Imperia und Gianni zur Premiere in Berlin. Was war ihr Eindruck von eurem Stück?

Dimitrow: Sie sind, was Theater betrifft, nicht sehr stark vorgeprägt, insofern weiß ich nicht, wie sie zum Beispiel das durch Schnitt und Musik verfremdete Videomaterial empfunden haben. Letztlich haben sie unser Stück aber als das verstanden, was es auch war: eine Würdigung ihres Lebens.

FURIOS: Was ist bei dir als nächstes geplant?

Dimitrow: Wir sind vom Residenztheater München mit sechs weiteren jungen Regisseuren zu einer Werkstattinszenierung eingeladen. Am ersten Juliwochenende haben wir mit Faust II in München Premiere.

Anm. d. Red.: In FURIOS 12 ist eine kürzere Version des Interviews erschienen.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. 10. Januar 2019

    […] Kitsch für die Ewigkeit […]

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