Nachts in der Uni

Herzklopfen, ein Brautpaar, eine Weggefährtin: Wer die Uni um 22 Uhr verlässt, verpasst was. Margarethe Gallersdörfer verbrachte eine Nacht in der Finsternis der Rost-und Silberlaube.

Foto: Christoph Spiegel

Foto: Christoph Spiegel

22.00 Die Nacht hat begonnen, ich laufe die J-Straße entlang. Ist das gruselig hier. Der Wind pfeift, die Lüftung röchelt, ständig klickt es irgendwo. Außerdem ist es – natürlich – dunkel. Die einzige Lichtquelle sind die Notausgangsschilder. Die sorgen allerdings für die Art von grün-weißlicher Horrorfilmbeleuchtung, bei der mir völlige Dunkelheit lieber wäre. Wenn jetzt irgendwo ein kleines Mädchen auftaucht, schreie ich.

22.30 Mir ist eingefallen, dass ich zu alt bin für solchen Quatsch. Nackte Angst mischt sich mit der Freude, hier ganz alleine zu sein. Ich tanze in der K-Straße zu „Happy“ von Pharrell Williams. Apropos „room without a roof“: Schön wär’s. Die Decken wirken noch niedriger als tagsüber. Die eigentlich riesige Rost- und Silberlaube (ich nenne sie ab jetzt „Rosi“, das hätte schon längst jemand tun sollen), schafft es, nachts eine klaustrophobische Atmosphäre zu erzeugen. Ein rotes Licht leuchtet im Erdgeschoss an allen Türen, die ins Freie führen. Sie lassen sich öffnen, aber dann wird bei den Wachmännern ein Alarm ausgelöst. Lieber nicht.

22.45 Ich finde eine begehbare Dachterrasse in der Straße JK 27. Jemand hat mit einem Stock dafür gesorgt, dass die Tür nicht zufällt. Ich atme durch. Was für eine Schnapsidee, eine ganze Nacht in der Uni zu bleiben, alleine. Ich beschließe, Menschen zu suchen. In zwei Büros ist es noch hell – doch ich werde enttäuscht. Bewohner von JK 27/211 und 238: Wie wär’s mit Licht ausmachen?

23.15 Tanzende Menschen. Sie hüpfen, sie jubeln, sie haben Spaß. Und ich kann nicht zu ihnen, denn die Türen zum Mensafoyer sind verschlossen. Ich stehe im ersten Stock der L-Straße und gucke wie Aschenbrödel auf die hell erleuchteten Fenster des „Galileo“, dem Restaurant über der Mensa. Sie sind so nah und doch so … tanzt da ein Teletubbie? Egal wie – ich muss hin!

23.30 Der Chef des Galileo schiebt eine dreistöckige, magentafarbene Hochzeitstorte aus der Küche: Die Teletubbies tanzen zu Ehren von Melina und Daniel. Der Chef raunt mir zu, die Verkleidungen seien eine Hommage an die Lieblingssendung des Brautpaars. Die beiden sind 18 und 22 Jahre alt. Das erklärt einiges. Viel Glück!

0.00 Der Wachmann, den ich angefleht habe, mich rauszulassen, lässt mich auch wieder hinein. Beschwingt laufe ich durch die K-Straße und sehe erneut ein erleuchtetes Fenster. Ich starre hinüber. Noch ein Stromsünder? Nein, hinter dem Monitor reckt sich jemand! Mein Herz schlägt schneller. Ich bin doch nicht allein!

0.15 Nach drei Anläufen klopfe ich an die richtige Tür. Marie, die eigentlich anders heißt, schließt vorsichtig auf. Sie guckt mich an und fragt: „Dein Ernst?“ Ich antworte: „Mein Ernst!“ Es ist Liebe auf den ersten Blick. Ich ziehe sofort bei ihr ein. Wir sind den Rest der Nacht unzertrennlich.

1.15 Marie redet wie ein Wasserfall, das macht die Einsamkeit. Sie studiert eigentlich woanders, rechnet aber in der Rosi mit speziellen Programmen für ihre Masterarbeit. Meistens nachts, da muss sie nicht arbeiten. Die Studierenden tagsüber empfindet sie inzwischen als Fremdkörper: „Ich denke immer: Ihr wisst nicht, wie es hier wirklich ist“, sagt sie. „Ihr habt noch nie hier geschlafen.“ Manchmal, sagt Marie, höre sie nachts Schritte in einen Gang gehen, der eine Sackgasse ist. Schritte, die nicht zurückkommen.

3.30 Wir sind auf eine Eckcouch meines Vertrauens umgezogen. Marie hat den Kopf auf meinen Mantel gebettet. „Ich bin so glücklich“, murmelt sie, halb im Traum. Das arme Ding schläft sonst unter einem Tisch im Büro.

4.49 Ich stehe auf der Dachterrasse des „Café Pi“ und sehe der Sonne nicht beim Aufgehen zu – das ekelhafte Chemie-Hochhaus versperrt ihr den Weg. Dafür ist der Himmel über mir blau mit vereinzelten Wolken. Amseln führen lautstarke Dialoge. Und irgendwo auf dem Campus klopft tatsächlich ein Specht.
Die Nacht ist vorbei.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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