Über die Schützengräben hinaus

100 Jahre Erster Weltkrieg: Im Jubiläumsjahr 2014 ist der Historiker Oliver Janz besonders gefragt. Er fordert eine neue Sicht auf die Vergangenheit. Simon Purk traf den FU-Experten.

FU-Historiker Oliver Janz in seinem Büro. Foto: Simon Purk.

FU-Historiker Oliver Janz in seinem Büro. Foto: Simon Purk.

In unserer Serie „Kluge Köpfe“ porträtieren wir interessante Wissenschaftler der FU. Teil 3: Oliver Janz, Historiker.

Im Institut für Geschichtswissenschaft, dem Friedrich-Meinecke-Institut, sucht man vergeblich nach dem Bild vom grimmigen Historiker, der in einer dunklen Bibliothek zwischen verstaubten Bücherstapeln sitzt. Der Geschichtsprofessor Oliver Janz widerlegt alle Klischees: Er empfängt mich im dritten Stock des hellen modernen Gebäudes in seinem aufgeräumten Büro mit einem sonnigen Lächeln.

Janz ist Experte für den Ersten Weltkrieg. Er berät zahlreiche Autoren und Produzenten in Radio, Zeitung und Fernsehen. Doch sein Fachgebiet lässt wenig Spielraum für sonnige Themen. Besonders düster sieht es aus, wenn der Geschichtsprofessor die Darstellung des Krieges in der Öffentlichkeit betrachtet. Schließlich, so stellt er fest, wird „der Erste Weltkrieg sowohl in den Medien, als auch im Schulunterricht meistens vom Zweiten überlagert.“ Dabei sei der Blickwinkel „eurozentrisch, wenn nicht sogar westeuropäisch.“ Im Fokus stünden immer wieder die großen Materialschlachten an der Westfront. Janz findet, es sollte über die Schützengräben hinaus geschaut werden: „Allein in Osteuropa, insbesondere auf dem Balkan, wo die Fronten nicht festgefahren waren, haben mehr Menschen ihr Leben gelassen als im Westen.“

Und er geht noch viel weiter: „Es war ein globaler Krieg. Menschen der verschiedensten Länder waren involviert.“ Zum Beispiel in Ostafrika. Dort kämpften deutsche Soldaten mit eingeborenen Askaris gegen die Briten, die neben Afrikanern auch Inder rekrutiert hatten. Und auch in Asien gab es einige von der Öffentlichkeit kaum beachtete Konflikte. So landeten nach der Oktoberrevolution 1917 „japanische Truppen in Sibirien und versuchten russische Gebiete zu erobern.“, erklärt Janz. Außerdem wurde nicht nur mit Waffen und Soldaten gekämpft: „Es war auch ein globaler Finanzkrieg. Die deutschen Unternehmer beispielsweise wurden gezielt von der Börse an der Wall Street verdrängt.“

Faszinierende Internationalität

Die globalen Verflechtungen und Folgen des Krieges sind wohl vielen Menschen unbekannt. Dem will Janz durch seine Forschung entgegenwirken und dadurch neue Perspektiven eröffnen. Gerade arbeitet er als Projektleiter an einer neuen großen Enzyklopädie des Ersten Weltkrieges, welche die, wie er findet, „faszinierende Globalität“ des Krieges offenlegen soll. Beteiligt sind über 1.000 Experten aus 54 großen und kleineren Ländern, von China bis Trinidad und Tobago. Die Enzyklopädie soll ab diesen Sommer im Internet verfügbar sein.

Das Jahr 2014 bietet für Historiker wie Janz die große Chance, im Rahmen des Jubiläums des Kriegsbeginns bei den Menschen Interesse an der Vielschichtigkeit und Globalität des Krieges zu wecken. Janz versteht darunter, im Gegensatz zu anderen Forschern, nicht eine Wiederaufnahme der Schuldfrage, sondern „die Erinnerung an die Schrecken des Krieges, auch für die Zivilisten, wachzuhalten und das Bewusstsein für seine komplexen und langfristigen Folgen zu schärfen.“ Zudem ließe sich durch den Rückblick auch erkennen, dass Frieden in Europa nichts Selbstverständliches sei. Schließlich hatten auch 1914 schon Menschen behauptet, dass es keine Kriege mehr geben könne, da die Welt viel zu vernetzt sei.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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