Das heimliche Unheimliche

Vergangenen Dienstag war das „Indische Filmfestival der Unheimlichkeit“ noch spärlich besucht. Cecilia Fernandez fragt sich, warum dieses Festival so wenig Beachtung findet.

„36 Chowringhee Lane“ war der erste Film, der auf dem Festival gezeigt wurde

„36 Chowringhee Lane“ war der erste Film, der auf dem Festival gezeigt wurde

Ein nervöser Blick auf die Uhr folgt dem anderen. Gautam Chakrabartis Blick wandert vom Ziffernblatt auf die Gesichter der Gäste vor ihm. Es ist fast 18.15 Uhr am vergangenen Dienstagabend. Chrakabarti sieht in einem großen Seminarraum der Rost- und Silberlaube knapp zwanzig Paar Augen entgegen, die sich, wie von seiner Unruhe angesteckt, nervös im Raum umsehen. „Wir warten bis Viertel nach“, sagt er immer wieder mit einem flüchtigen Lächeln.

Der Literaturwissenschaftler hatte zum „Indischen Filmfestival der Unheimlichkeit“ geladen. Dass seine Einladung weitgehend unbeachtet blieb, mag an der Überfülle an Angeboten liegen, die an der FU vorherrscht. Vielleicht ist die geringe Besucherzahl aber auch dem sperrigen Titel geschuldet. Chrakabartis Erklärung desselben schafft wenig Klarheit: „Ich benutze den Begriff der Unheimlichkeit in Bezug auf den ‚third space‘“, sagt er und zitiert dabei die postkoloniale Theorie Homi K. Bhabhas.

Nichts von trockener Theorie

„Es geht um Menschen am Rande der Existenz, unerwartete Peripherien, Ränder innerhalb der Ränder. Sie sind für sich selbst und die Gesellschaft um sie herum unheimlich“, erklärt Chrakabarti weiter. Das Festival ist als Erweiterung seiner aktuellen Lehrveranstaltung „The Diasporic Indian Novel“ konzipiert. Auch darin spielt Postkolonialismus eine zentrale Rolle, es geht um Konzepte wie Hybridität und Globalität.

Worte, die wohl ungeeignet wären, bei Fachfremden Interesse zu wecken. Worte auch, die schwere filmische Kost versprechen. Als der Uhrzeiger endlich auf die Drei trifft, nickt Chakrabarti einer Studentin zu, sie verdunkelt den Raum und drückt auf „Play“.

Was folgt, ist ein Film, dem von trockener Theorie nichts anlastet. „36 Chowringhee Lane“, das Regiedebüt der indischen Filmemacherin Aparna Sen, dreht sich um die alternde anglo-indische Lehrerin Violet. Im Kalkutta der 80er Jahre, nach Erlangung der Unabhängigkeit also, sieht sie sich als ältere unverheiratete Weiße zunehmend von der Gesellschaft ausgeschlossen. Als die junge Nandita und ihr Freund Samaresh sich mit ihr anfreunden, blüht Violet kurzweilig auf. Doch die Freundschaft ist nicht von Dauer, die Unterschiede in Alter, Klasse und Ethnie sind zu belastend.

Menschlichkeit überzeugt

Durch den Film leben Chakrabartis einleitende Worte auf: „36 Chowringhee Lane“ zeigt eindrücklich, dass Entfremdung und Vereinsamung nicht plötzlich passieren, sondern allmählich von Statten gehen, indem die Betroffenen nach und nach Anknüpfungspunkte verlieren. Und auch, dass die Ausgrenzenden dies oft nicht aus böser Absicht tun, sondern aus Unachtsamkeit geschehen lassen, weil sie unfähig sind, sich in die Lage der an den Rand Gedrängten zu versetzen.

Vor allem ist der Film aber menschlich: Er lässt die Zuschauer auflachen, seufzen, die Hand vor Verzweiflung auf die Stirn legen. Ein Raunen geht bei besonders brisanten Szenen durch die Reihen. Dass Film dazu geeignet ist, abstrakte theoretische Konzepte zu veranschaulichen, weiß Chakrabarti: „Mit Film kann man richtig kommunizieren.“

Noch zwei Termine hat das „Indische Filmfestival der Unheimlichkeit“. Gezeigt werden „A Thousand Dreams Such as These“, der die Geschichte dreier Freunde unterschiedlicher sozialer Stellung in den politisch unruhigen Jahren 1969 – 79 erzählt, und „Shaji on the Beach“, der eine Gruppe britischer Frauen südasiatischen Ursprungs zeigt, in der die Generationenunterschiede zunächst stärker scheinen als die kulturellen Gemeinsamkeiten. Zwei Gelegenheiten also noch, dieses Festival der Unheimlichkeit aus der Heimlichkeit zu holen.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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