„Monstermäßig busy“

Mit seiner jüngsten Schaubühnen-Produktion NEVER FOREVER gelingt es Falk Richter, die inneren Gefühlszustände einer ausgebrannten Gesellschaft zu erfassen. Bisweilen hätte weniger Eindeutigkeit mehr Wirkung erzielt. Von Friederike Oertel

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NEVER FOREVER: Im Grenzbereich zwischen Schauspiel und Tanz. Foto: Arno Declair

Sie leben in sterilen Metallgestellen, die Räume andeuten, sonst aber leer sind. Sie sind einsam, egozentrisch und dauergestresst. Die Frau, die manisch ihre Outfits wechselt, der Student, der exzessive Selbstdarstellung im Netz betreibt, die Psychologin, die sich zu sehr mit ihrer Patientin identifiziert. Sie alle flüchten vor zu viel Nähe, reduzieren ihre Begegnungen auf unverbindlichen Sex – und sehnen sich doch nach Zuneigung und Anerkennung.

Da ist er wieder, der narzisstische, beziehungsgestörte Großstadtmensch. Die Diagnose von der zunehmenden Entfremdung durch das Internet, die Regisseur Falk Richter zum Thema seiner neusten Schaubühnen-Produktion NEVER FOREVER macht, ist keine neue. Doch wenn Richter fragmentarisch Szenen aneinanderreiht, lapidar Figuren umreißt und zuweilen ins Groteske verfällt, zeigt er nicht mit erhobenem Zeigefinger auf die Verwahrlosung unserer Gesellschaft, sondern versucht behutsam, sich in die verlorenen Seelen einzufühlen.

Grenzbereich zwischen Tanz und Schauspiel

„Wieso gibt es keine Sprache, um das zu sagen?“ klagt der Professor, der zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und Selbstgenügsamkeit schwankt. Die Skepsis gegenüber der eigenen Sprache ist es, die der Inszenierung einen Zugang zu Seelenzuständen jenseits von Sprechertexten ermöglicht. In Fortsetzung früherer Werke begibt sich Richter dazu auf ein Grenzgebiet zwischen Tanz und Schauspiel. Es ist seine erste Zusammenarbeit mit dem israelischen Choreographen Nir de Volff und seiner Tanzgruppe TOTAL BRUTAL.

Die windenden Körper der Tänzer vermischen sich mit alltagssprachlichen Monologen, krankhaften Wutanfällen, lyrischen Momenten und wummernden Elektro-Klängen zu einer verdichteten Collage. Angst, Scham, Sehnsucht und die innere Zerrissenheit der Figuren werden greifbar. Wenn honiggelbe Nebelschwaden über die schwarze Bühne wabern, dann bewegt sich die Inszenierung zwar nah am Kitsch, gibt jedoch auch dem Bedürfnis nach Romantik und Melancholie Raum. Und wenn die Schauspieler „monstermäßig busy“ über das Sofa rollen und in einem Chor aus Monsterstimmen enden, dann gelingt Richter sogar die selbstironische Relativierung der Seelenqual.

Mit dem Vorschlaghammer der Eindeutigkeit

Es ist nicht die Thematik heimatloser Großstadtbewohner und leerer Postingwelten, die den Abend stark macht. Es ist die ästhetische Inszenierung innerer Zerrissenheit. Sie wird mit Ilse Ritter, die wie aus der Zeit gefallen Gretchen am Spinnrad rezitiert, von ihrer Gegenwartsfixierung gelöst und zu einem universellen Gefühl erhoben. Nur wenn die Schauspieler zum Mikrofon greifen, um das sorgfältig gewebte Gefühls-Cluster für den trägen Theatergänger in konkrete Sprache zu fassen, droht die Wirkungsabsicht mit der Wucht eines Vorschlaghammers einzuschlagen.

Dabei hätte die Inszenierung auch im Schwebezustand der Andeutungen ihre Wirkung getan: Falk Richter gelingt es in NEVER FOREVER, die Narzissten auf der Bühne in einem allgemeingültigen Gefühl zu vereinen, dem sich der Zuschauer auch ohne sprachliche Keule kaum entziehen kann.

NEVER FOREVER

Uraufführung

Text und Regie: Falk Richter

Choreographie: Nir de Volff/TOTAL BRUTAL

Schaubühne am Lehniner Platz

Dauer: ca. 105 Minuten (keine Pause)

Nächste Termine:

13.11.2014, 20:00 – 21: 45

14.11.2014. 20:30 – 21:45

15.11.2014, 20:00 – 21:45

16.11.2014, 17:00 – 18:45

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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