Literatur zwischen gestern und morgen

Die französische Schriftstellerin Cécile Wajsbrot ist derzeit die 32. Samuel Fischer-Gastprofessorin am Institut für Literaturwissenschaft. Alice Herzog sprach mit ihr über Vergangenheitsbewältigung, Inspiration und die drohende Klimakatastrophe.

Wajsbrot

Cécile Wajsbrot auf dem Dach der Silberlaube. Foto: Alice Herzog

FURIOS: Sie leben in Paris und Berlin. Was ist für Sie das jeweils Charakteristische an diesen Städten?

Wajsbrot: Paris ist eine schöne Stadt, aber sie steht fast komplett unter Denkmalschutz und ist deshalb weniger lebendig. In Berlin kann man besser atmen. Es gibt geographischen Raum, das heißt auch Raum für den Geist, für neue Leute, eine neue Art zu leben, neue Architektur.

Sie sind auch als Übersetzerin aus dem Englischen und Deutschen tätig. Beteiligen Sie sich an der Auswahl der Übersetzer für Ihre eigenen Werke?

Die Übersetzter selbst sucht der Verlag aus. Ich lese die Übersetzungen aber immer und mache Bemerkungen. Ich finde einige Sätze zu streng und möchte die Grenze ein bisschen ausdehnen. Manchmal sagen die Übersetzer: „Ja, aber das kann man so auf Deutsch nicht schreiben“. Und ich antworte: „Aber auf Französisch auch nicht!“ Man muss bei Sprache auch ein bisschen erfinden.

Der Maler Caspar David Friedrich wird in Ihrem Roman Mann und Frau den Mond betrachtend thematisiert. Außerdem ist eines seiner Gemälde auf dem Cover Ihres zuletzt auf Deutsch erschienenen Werks Die Köpfe der Hydra zu sehen. Inspiriert er Sie besonders?

Ich mag seine Bilder; da gibt es eine gewisse Stimmung, so etwas wie Transzendenz, aber nicht unbedingt im religiösen Sinn. Wenn wir ein Bild von Friedrich betrachten, dann geht es um eine Reise, einen Traum. In der Literatur und der Kunst im Allgemeinen geht es darum, die „reale“ Realität in eine literarische oder künstlerische Realität zu verwandeln.

In einem Ihrer Romane heißt es „heute stehen wir alle verloren auf dem unentwirrbaren Kreuzweg zwischen gestern und morgen“. Was reizt Sie am Thema der Vergangenheitsbewältigung?

Meine Familie war von der Deportation von Menschen mit jüdischer Abstammung in Frankreich betroffen. Die Erinnerungen daran waren das Hauptthema, ich war damit schon als Kind konfrontiert und das hat mich tief geprägt. In Frankreich hat niemand darüber gesprochen, in der Öffentlichkeit war es gar kein Thema. Und ich glaube, dass ich mich wegen dieses Gegensatzes zwischen zuhause und draußen immer fremd gefühlt habe. Ich konnte beide Welten nicht zusammenbringen. Vielleicht habe ich deswegen angefangen zu schreiben: Um eine Brücke zu schlagen.

An der FU unterrichten Sie ein Seminar mit dem aktuellen Titel „Climat“ – ein Versuch, den genannten „Kreuzweg“ zu entwirren?

Genau, ich habe im ersten Teil meines Lebens gedacht, dass die Katastrophe in der Vergangenheit liegt und dass wir mit ihren Folgen zu leben haben. Aber schon seit Ende des 20. Jahrhunderts habe ich das Gefühl, dass sie vor uns steht. Jetzt wissen wir, dass es eine Klimakatastrophe geben könnte. Diese Aktualität, der Klimawandel, hat mich nicht nur interessiert, sondern auch betroffen. Ich dachte, es wäre spannend, Klima in der Literatur zu betrachten und Romane nur unter diesem Aspekt zu lesen.

Und was erwarten Sie von den Seminarteilnehmern?

Lesen. Aber lesen heißt auch erklären, verstehen – eine Zusammenarbeit. Ich möchte auch gerne, dass die Studenten nach dem Seminar noch mehr Lust haben, sich mit Literatur zu beschäftigen. Und dass sie auch spüren können, dass Literatur keine abstrakte Sache ist und es Verbindungen gibt zwischen der Welt und dem Schaffen. Ein Schriftsteller sitzt nicht nur in seinem Elfenbeinturm, sondern nimmt auch an seiner Zeit teil und ist von ihr geprägt.

Ihre Antrittsvorlesung zum Thema „Echo eines Spazierganges in der Künstler-Kolonie“ hält Cécile Wajsbrot am 11.12.14 um 18:15 Uhr in Raum KL 32/202. Der Eintritt ist frei.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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