Eine Kritische Orientierungswoche sollte dem Semesteranfang mehr Abwechslung einhauchen. Aber braucht die Uni wirklich noch mehr Erstitage – und wie politisch sollen diese sein? Von Jannis Kettenring
Als im Marxismus-Seminar der Kritischen Orientierungswoche (Korfu) zum dritten Mal das Wort „Weltrevolution“ fällt, blicken die Neulinge im Couchcafé vor der großen Mensa irritiert auf. Die alternativen Erstitage sollten in diesem Wintersemester das Angebot der offiziellen Erstitage ergänzen.
Einen Verantwortlichen gab es nicht. Unterschiedliche linke Gruppen von der FU und außerhalb gestalteten das Programm. Das Ziel war, „interessierten Studierenden eine Möglichkeit bereitzustellen, sich zu informieren, freie Räume zum kritischen Denken zu ergreifen und sich in Strukturen zu integrieren“, schreibt die Korfu auf ihrer Homepage. Zu ihrer weiteren Arbeit hat sich die Gruppe auf Anfrage nicht geäußert.
Von der ersten Veranstaltung an wurden die Erstsemester mit Flyern, Informationszetteln und Heftchen überhäuft. Viele davon griffen Themen auf, die mit dem Unialltag eher indirekt zu tun haben. So informierte die Korfu nicht nur über Hochschulpolitik und studentische Initiativen, sondern auch über Flüchtlinge, den Islamischen Staat, den Klimawandel und Nazis in Berlin. Die Korfu – ein unangemessener Versuch linker Gruppen, jungen Erstsemester ihr Weltbild aufzudrängen?
Die Hochschulgruppen der Parteien stehen der Korfu kritisch gegenüber. „Wir finden es schade, dass die politische Infiltration schon an der Eingangstür beginnt“, sagt Julian Senders vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Allerdings bietet der RCDS selbst Orientierungsveranstaltungen an: Bei einer Kneipentour konnten sich Erstis über die Arbeit der CDU-nahen Hochschulgruppe informieren – politisch sei es dabei nicht zugegangen, sagt zumindest Senders.
Einen ähnlichen Ton schlägt die Liberale Hochschulgruppe (LHG) an. Von der Korfu halte sie nichts, sagt die Vorsitzende Sarah Euskirchen. „Dort wird nur eine Ideologie gepredigt und die Orientierungslosigkeit der Studierenden ausgenutzt.“ Die FDP-nahe LHG selbst gibt jedes Jahr ein eigenes Erstsemesterheft heraus. „Der inhaltliche politische Austausch findet bei unseren Treffen statt“, sagt Euskirchen.
Auch die Jusos informierten bei einer eigenen Orientierungsveranstaltung über ihre Tätigkeitsfelder. „Leider wird vielen Erstsemestern durch überfrachtete Lehrpläne und Notendruck die Möglichkeit genommen, sich zu engagieren“, sagt Marten Brehmer, Sprecher der SPD-Jugendorganisation. „Außerdem sind die undemokratischen Strukturen der Gremien wenig attraktiv.“
Es scheint fast, als würde die erste Semesterwoche zur politischen Arena, in der die Parteien und Gruppierungen um die Gunst der noch orientierungslosen Erstsemester rangen. Doch das Bild stimmt nur zum Teil – nicht alle Studierende werden von den Orientierungsangeboten erreicht. Manche gehen mit einer pragmatischen Einstellung an das Studium.
So Jahne Nicolaisen, der gerade sein Bachelorstudium der Politikwissenschaft aufgenommen hat: „Ich bin nur zu den Veranstaltungen gegangen, die für mein Studium interessant waren.“ Die Kritische Orientierungswoche sei ohnehin nur von Leuten besucht worden, „die sowieso Interesse an Themen wie Feminismus oder Kapitalismuskritik haben“, glaubt er.
Andere wiederum bekommen von den Veranstaltungen einfach nichts mit. „Das mag auch daran liegen, dass ich im Fachbereich Veterinärmedizin nicht auf Bachelor studiere und deshalb nicht an der großen Einführungsveranstaltung der Erstsemester teilgenommen habe“, erzählt Julia Grawunder, Erstsemester in Veterinärmedizin. Politisch sei es an ihrem Fachbereich nicht zugegangen.
Tja, vor 15 Jahren gehörten Feminismus und Kapitalismuskritik noch zu den Themen, die in der offiziellen Einführungsvorlesung und den Tutorien am Otto-Suhr-Institut gelehrt und diskutiert wurden. Ist schon traurig, wenn angehende Politologen der Meinung sind, das das für ihr Studium nicht relevant ist. Und irgendwie auch ein Armutszeugnis für die FU und das OSI. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Politgruppen und die Fachschaften jahrzehntelang die einzigen an den Unis waren, die Orientierungswochen für Studierende angeboten haben, während die Uni der Überzeugung war, so etwas sei unnötig.
Ja, bloß keine Politik an die Uni! Reaktionäres Pack