Wo Chancen im Sand versinken

Kaum jemand kennt das zentralasiatische Land Tadschikistan. Die korrupten Eliten des Ex-Sowjetstaates tun offenbar alles dafür, damit das so bleibt. Sie rauben der Jugend die Zukunft. Von Julian Daum

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Tadschikistan ist ein Land der Extreme. Die Sommer sind heiß, die Winter kalt. An den Ausläufern der höchsten Gebirge lebt die Bevölkerung teilweise in abgrundtiefer Mittellosigkeit. Das Armenhaus der ehemaligen Sowjetunion ist auch heute noch das wirtschaftliche Schlusslicht Zentralasiens. Der Beamtenapparat ist von unten bis oben korrupt. Transparency International listete Tadschikistan vergangenes Jahr auf Platz 154 von 175 des Korruptionsindex.

Denn anstatt die Menschen in seinem Land auszubilden, lässt sich Präsident Emomalii Rahmon lieber megalomanische Paläste ins Zentrum der Hauptstadt Duschanbe setzen. Was in den phallischen Protz orientalisierter Hochhausfassaden fließt, fehlt den hauptsächlich auf dem Land lebenden Tadschiken. Dort nämlich, wo die Ausgrabungen stattfinden, gibt es nicht einmal asphaltierte Straßen.

Im Sommer war ich mit einem Team des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) dort, um im Süden des Landes ein hellenistisches Heiligtum auszugraben. Wir schaukeln auf dem Weg nach Torbulok im Süden über den Staub und Schotter einer unendlich weiten Ebene. Nach einer Stunde tauchen die ersten Lehmhäuser des Dorfes aus dem diesigen Nichts auf. Denn nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die das Land finanziell förderte, zerbröselte auch die Infrastruktur, wie gepresster Sand nach der Regenzeit. Strom gibt es hier nur noch stundenweise oder gar nicht, Wasser muss von weit her angeliefert werden.

In diesem Kosmos aus Lehmhäusern, in dem Ackerbau und Selbstversorgung den Alltag prägen, ist aber durchaus ein Leben in relativem Wohlstand möglich. Ziegen, Pistazien und eine geschickte Heiratspolitik haben hier den gleichen Stellenwert wie die offizielle Währung des Landes. Hier lebt die 18-jährige Schülerin Manischa. Sie würde diesen Kosmos gerne durchbrechen. Sie lernt fleißig, denn sie möchte Ärztin werden. Sie will sich nicht einfach mit einem von ihren Eltern vorgeschlagenen Mann aus dem Dorf begnügen.

Doch was ist ihre Ausbildung wert in einem Land, in dem Abschlüsse käuflich sind? In dem die Regierung es nicht fertig bringt, Kindern Russisch beizubringen – obwohl die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aus Löhnen tadschikischer Gastarbeiter auf Moskauer Baustellen besteht? Ja, eine Karriere ist möglich. Mein Kollege Ismoil hat sich ohne Ausbildung am tadschikischen archäologischen Institut hochgearbeitet und besucht nebenbei Unikurse. Er hat diesen schwierigen Weg auf sich genommen, weil er sich nicht wie alle anderen in Russland zu Tode schuften wollte.

Doch eine gut bezahlte, dauerhafte Stelle wird auch er schwerlich finden. Denn Ämter werden meist direkt an die Söhne vererbt. Auch Manischas Zukunft als Ärztin ist alles andere als sicher. Dass sie ihre Pläne aufgeben und sich doch mit einem Eheleben auf dem Dorf begnügen muss, ist hier wahrscheinlich.

Es gibt viel Potential und Ambitionen in diesem Land. All unsere Mitarbeiter vor Ort waren interessiert, erfinderisch und gastfreundlich. Das Land aber, in dem sie aufwachsen, verspricht ihnen nicht mehr als ein Leben als Hausfrau oder ausgebeuteter Gastarbeiter auf Moskauer Baustellen. Dort bauen sie dann, untergebracht in den heruntergekommenen Arbeiterkasernen des ehemaligen Bruderlandes, die Straßen und Häuser, die zu Hause fehlen.

Anm. d. Red., Korrektur im 2. Absatz: Aufgrund fehlerhafter Informationen haben wir nachträglich den 2. Absatz entfernt.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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