„Nicht die Medikamente meiner Frau!“

Mit viel Emotion bewerben die 11 bit Studios ihr Spiel „This War Of Mine“, in dem die Spieler eine Gruppe von Kriegsflüchtlingen steuern. Geht das moralische Konzept auf? Von Enno Eidens

Zivile Kriegsopfer sind die Protagonisten in „This War of Mine". Screenshot: 11 bit studios

Zivile Kriegsopfer sind die Protagonisten in „This War of Mine”. Screenshot: 11 bit studios

Pavle ist krank. Vor dem Krieg ein Profifußballer, ist er nun kaum mehr als ein Schatten seiner selbst und kann nicht einmal selber aufstehen, um sich im Krankenhaus behandeln zu lassen. Also muss Koch Bruno Medizin für ihn holen. Doch zum Tauschen ist nicht viel da und die Wachen im Krankenhaus reagieren auf Diebstahl meist mit Waffengewalt.

Es gibt da noch eine Alternative: Ein altes Ehepaar. Bruno kann ganz einfach durch die Vordertür ihrer kleinen Wohnung eindringen. Niemand hält ihn auf, die alten Leute sind wehrlos. Im Eisfach der beiden finden sich genau zwei Döschen mit wertvoller Medizin. Der alte Mann fleht darum, ihm etwas für seine Ehefrau dazulassen. Bruno steht vor der Wahl: Nimmt er eine oder beide?

Ein Leben, ein Tag

Moralische Dilemmata wie diese sind Alltag in „This War of Mine“, dem neuen 2D-Survival-Game der Warschauer 11 bit studios. Die Spieler steuern die Geschicke einer kleinen Gruppe Überlebender in einem fiktiven Staat, die sich nach Ausbruch eines Krieges in ein Haus zurückgezogen haben und dort am Leben gehalten werden müssen. Es fehlt an allem: Nahrung, Medizin, Kaffee und Kippen. Auf nächtlichen Beutezügen im kleinen Städtchen Pogoren müssen sie ständig neu beschafft werden. Der Spieler wird dabei nicht nur mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten und Gefahren konfrontiert, sondern vor allem auch mit moralischen Ungewissheiten, wie sie Koch Bruno zu bewältigen hat.

Der Diebstahl bei dem alten Ehepaar hat ihm zugesetzt. Bruno hat schlechte Laune. Und auch im Rest der Gruppe machen sich Depressionen breit: man ist sich nicht sicher, ob man wirklich auf Kosten anderer überleben will.

Die Wahl der Moral

Dieses moralische Feedback, das durch viele Aktionen innerhalb des Spiels ausgelöst werden kann, ist das zentrale Konzept von „This War of Mine“. Jede Tat hat Auswirkungen. Der Diebstahl ist dabei nur ein unerhebliches Beispiel, schlimmer wird es, wenn die Figuren Unschuldige erschießen. Dann versinken die Protagonisten in tiefen Depressionen, streiten untereinander, bleiben trauernd in ihren Betten, verlassen und bestehlen die Gruppe, bringen sich um. Die Verzweiflung und die Schmerzen, die Krieg besonders für die zivilen Opfer mit sich bringt, sind in diesem Spiel nicht nur eine Randnotiz, sie bestimmen die Handlung entscheidend.

Der Ansatz, den „This War of Mine“ hier verfolgt, ist neu und vielversprechend. Doch leider wirken die Mechaniken, die verwendet werden, nicht immer schlüssig, das moralische Konzept hat logische Brüche. Zu unscharf ist das Problem der Ethik im Spiel gelöst, zu verwaschen die Verbindung zwischen Gameplay und moralischer Entscheidungssimulation.

Niemals wieder. Niemals zuvor.

„This War of Mine“ ist ein gutes Spiel, aber keines, das spielerisch herausragen kann. Viele der Genrekonkurrenten sehen besser aus, können länger fesseln und bieten eine deutlich zugänglichere Spielbarkeit. Dennoch: die moralischen Entscheidungen und das bedrückend realistische Element der Verzweiflung machen das Spiel zu etwas Einzigartigem. Eben weil man sich so viele Gedanken über die Nuancen dieser Systeme machen kann, funktionieren sie.

Spaß macht das Überleben in Pogoren nicht. Aber wer neben den vielen glattgebügelten Erzählweisen moderner Spiele etwas Ungewöhnliches erleben möchte, kann sich durchaus für ein paar Stunden oder Tage unter die Kriegsüberlebenden begeben und dabei neue Erfahrungen sammeln.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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