„Kein Massaker sollte vergessen werden“

Regisseur Bill Guttentag verfilmt Geschichten, die andere gern vergessen würden. Auch die des sogenannten „Massakers von Nanking“. Bei seinem Besuch an der FU traf Friederike Deichsler den Filmemacher zum Gespräch.

Zu Besuch in Berlin: der preisgekrönte Regisseur Bill Guttentag. Foto: Friederike Deichsel

Kein Mann für leichte Kost: Seit 1988 dreht Bill Guttentag Dokumentarfilme – über Krebs, den Drogenkrieg in Kolumbien oder das Attentat vom 11. September. Bereits zweimal wurde er für seine Arbeiten mit einem Oscar ausgezeichnet. Vergangene Woche stellte er an der FU seine Dokumentation „Nanking“ vor. Darin berichtet er über die grausamen Kriegsverbrechen, die die japanische Armee von 1937 bis 1938 in China beging.

FURIOS: Herr Guttentag, beim sogenannten „Massaker von Nanking“wurden Hunderttausende chinesische Zivilisten ermordet, Zehntausende Frauen und Mädchen vergewaltigt. Sie haben einen Dokumentarfilm über dieses schreckliche Ereignis gedreht. Warum?

Bill Guttentag: Mein Interesse für das Thema wurde durch ein berühmtes Buch geweckt, „The Rape of Nanking“ von Iris Chang. Der Untertitel des Buches lautet „Der vergessene Holocaust“ und meiner Meinung nach sollten diese Worte nicht zusammen in einem Satz auftauchen. Kein Holocaust sollte vergessen werden.

Was sollte Ihr Film daran ändern?

Guttentag: Die Idee dahinter war – wie bei jeder Dokumentation – eine Geschichte zu erzählen, die jeden berührt. Gerade im Westen ist das Thema kaum bekannt. In Asien dagegen machen diese Ereignisse immer noch regelmäßig Schlagzeilen. Der Film sollte also einerseits Menschen erstmals auf die Geschehnisse aufmerksam machen, aber auch diejenigen ansprechen, die schon etwas darüber wissen.

Warum ist das Massaker von Nanking in Asien ein so brisantes Thema?

Guttentag: Weil Japan diese Kriegsverbrechen noch immer nicht anerkennt. Es gibt in Tokio sogar ein Schrein für die damaligen Soldaten, den der Premierminister ab und zu besucht. Das ist, als würde China jedes Mal aufs neue ein Messer in den Rücken gerammt und deshalb taucht das Thema auch immer wieder in den Zeitungen auf. Stellen Sie sich vor, in Berlin gäbe es einen Schrein für Nazi-Soldaten und Angela Merkel würde ihn regelmäßig besuchen. Das würde auf der ganzen Welt eine Welle der Empörung auslösen. In Japan passiert im Prinzip genau das gleiche.

Welche Auswirkungen hatte es auf Ihre Arbeit, dass dieses Thema so umstritten ist?

Guttentag: Ich glaube, das sorgte für viele emotionale Momente. Als wir den Film drehten, lag das Massaker 70 Jahre zurück. Trotzdem führten wir Interviews mit Überlebenden, die ihre Geschichte teils zum ersten Mal erzählten. Das war sehr bewegend.

Was es schwierig für Sie, diese Schicksale zu dokumentieren?

Guttentag: Es war auf jeden Fall emotional sehr fordernd. Du fängst ja an, dich in die Lage der Überlebenden zu versetzen. Dir kommt der Gedanke „Das könnte ich gewesen sein“. Für meine chinesische Partnerin, die für die Interviews zuständig war, war das besonders schwierig. Sie rief mich jede Nacht unter Tränen an und ich fühlte mich furchtbar, weil sie so aufgewühlt war. Aber ich dachte auch: Das ist Teil der Kraft, die dieser Film hat. Diese Kraft muss man einfangen und dann hofft man, dass auch das Publikum dadurch berührt wird.

Meinen Sie, es ist Ihnen gelungen, diese Kraft einzufangen?

Guttentag: Ich hoffe es. Der Film hat Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft bewegt. Wir haben ihn in China gezeigt, auch auf dem Universitätscampus, wo viele der Filmszenen spielen. Die Wirkung war heftig. Ich denke viele der Studenten haben sich vorgestellt, dass sie hätten Opfer sein können und waren deshalb sehr betroffen. Dann lief der Film aber auch auf dem Sundance-Festival und das Publikum bestand aus lauter Leuten in ihren Zwanzigern, von denen die meisten noch nie von diesem Thema gehört hatten und auch sie waren sehr berührt. Genauso in Mexiko und an vielen anderen Orten der Welt.

Haben Sie ein besonderes Interesse daran, den Film einem deutschen, einem Berliner Publikum zu präsentieren?

Guttentag: Ja, auch die Reaktion dieser Zuschauer finde ich faszinierend. Es ist ja das erste Mal, dass der Film in Deutschland gezeigt wird und ich denke, dass das sehr interessant werden wird. Einer der Hauptcharaktere im Film ist ein Deutscher – John Rabe. Er war Teil einer Gruppe von unglaublich mutigen Ausländern, die tausende Leben gerettet haben. Dieser Charakter ist sehr komplex: Auf der einen Seite war er bekennender Nationalsozialist, auf der anderen Seite hat er all diese Menschen gerettet. In China ist er hoch angesehen und wird nahezu angehimmelt. Ich bin gespannt, wie ein deutsches Publikum ihn auffassen wird.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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