Im Bau der Füxinnen

Verbindungen gelten als konservative Männerbünde. Doch wie sieht das bei den Frauen aus? Eine bierseelige Momentaufnahme aus der Berliner Studentinnenverbindung Lysistrata. Von Ann-Kathrin Jeske

Die Verbindungsbänder tragen die Mitglieder von Lysistrata nur bei wichtigen Anlässen und bei Veranstaltungen mit anderen Verbindungen. Oben links im Bild, die Vorsitzende Sophie Möbius. Foto: Dorothea Drobbe
Die Verbindungsbänder tragen die Mitglieder von Lysistrata nur bei wichtigen Anlässen und bei Veranstaltungen mit anderen Verbindungen. Oben links im Bild, die Vorsitzende Sophie Möbius. Foto: Dorothea Drobbe

Stühle werden auseinander genommen, Gläser fliegen. Grölende Männer im Delirium zertrümmern das Inventar des Verbindungshauses, in dem sie wohnen. Es sollte ein harmloser Partyabend in der Orientierungswoche meines ersten Semesters Jura sein. Tatsächlich war es meine erste und vorerst letzte Begegnung mit einer Studentenverbindung. Ein Verbindungshaus wollte ich so schnell nicht wieder betreten.

Heute Abend mache ich es doch. Ich sitze im Keller eines großen, weißen Herrenhauses in Berlin-Grunewald – mitten in einem Verbindungstreffen. Männer im Vollrausch sind hier allerdings Fehlanzeige. Um mich herum sehe ich pinke Haare, roten Lippenstift und hochhackige Schuhe: Ich bin zu Gast bei der „Verbindung Berliner Studentinnen Lysistrata“, der einzigen Frauenverbindung Berlins. Der Name stammt aus einem Theaterstück des Aristophanes. Er steht für die Auflehnung der Frauen gegen eine männerdominierte Welt: Die weibliche Hauptfigur Lysistrata fordert Frauen auf, ihren Männern den Sex solange zu verweigern, bis wieder Frieden zwischen Athen und Sparta herrscht.

Zu dem Verbindungstreffen bin ich gekommen, weil ich neugierig war. Warum haben sich die Studentinnen dazu entschieden, in eine Frauenverbindung einzutreten? Was machen sie anders als die Männerorganisationen? Und wie stehen sie zu den Vorwürfen von Deutschtümelei bis Fremdenfeindlichkeit, die man einigen männlichen Burschenschaften macht?

Es ist ein Frühlingsabend im April. Zeit für die „Ankneipe“, den Semesterauftakt bei Lysistrata. Der findet im Keller des Verbindungshauses der Männerverbindung „Landsmannschaft Preußen“ statt, denn ein eigenes Verbindungshaus haben die Frauen nicht. Gegründet wurde ihre Verbindung 1985 von einer Gruppe Studentinnen, die in den Männerverbindungen nur als Gäste gern gesehen waren. Kurzerhand gründeten sie ihre eigene Verbindung, die heute insgesamt 40 Mitglieder zählt.

Im holzvertäfelten Raum der Frauenverbindung im Untergeschoss herrscht geschäftiges Treiben. Etwa 15 Frauen wirbeln in ihren Verbindungsbändern hektisch umher, Jacken werden abgelegt, das Buffet wird vorbereitet. Ich sehe einen Querschnitt der Berliner Uni-Landschaft: Doc Martens und Lippenpiercings, aber auch das kleine Schwarze mit passendem roten Lippenstift. Die Frauen hier sind angehende Ärztinnen und Ingenieurinnen, studieren Archäologie oder Soziologie. Trotz des allgemeinen Chaos werde ich herzlich begrüßt. Ich gestehe, dass ich mich willkommener fühle als schon auf so mancher WG-Party, wo jeder seine Scheu klappen angelegt hat und nur nach bekannten Gesichtern Ausschau hält.

Das Licht wird gedimmt und der „Offiz“, der offizielle Teil des Abends, beginnt. „Silentium“, ruft die Seniora Sophie Möbius, die ranghöchste Verbindungsschwester. Die zierliche Person trägt ein besonders breites Verbindungsband und ein viel zu großes, goldbesticktes Jackett. „Silentium auch hier unten“, erwidert die Fuxmajora am anderen Ende des Tisches. Sie ist für die Betreuung der Mitglieder auf Probe zuständig, der Füxe.

Die haben während der nächsten zwei Stunden eine ganz besondere Funktion: Als sogenannte Bierfüxe sind sie die Einzigen, die während des offiziellen Teils aufstehen dürfen. Wer seinen leeren Bierkrug auf den Tisch legt, bekommt von einem Bierfux ein Getränk seiner Wahl serviert. Die strenge Regel scheint aus der gleichen Zeit zu stammen wie die altertümlichen Landschaftsbilder an den dunklen Holzwänden. Vieles machen die Frauen eben doch so wie die Männerorganisationen: Abwechselnd werden heute Abend Reden gehalten, Studentenlieder gesungen und es wird getrunken.

„Cantus präpariert?“, fragt die Seniora. „Est“, ruft die Runde und wir fangen an zu singen. „Flamme empor“ aus dem „Allgemeinen Deutschen Kommersbuch“, dem traditionellen Gesangbuch der Studentenverbindungen. Mir wird flau im Magen. Die Zeile „Wir singenden Paare, schwören am Flammenaltare, Deutsche zu sein“ kommt mir nicht über die Lippen. „Wir singen die Lieder aus alter Tradition heraus, das war damals eine andere Zeit“, erklärt mir die Seniora. So „deutsch“ mancher Brauch daherkommt, die Verbindung distanziert sich von rechtem Gedankengut. „So jemand würde bei uns sofort rausfliegen. Extremismus jeglicher Art tolerieren wir nicht“, stellt Sophie klar. In die Verbindung dürfen deshalb Menschen jeder Herkunft und Religion eintreten. Nur weiblich müssen sie sein. „Frei sein, Frau sein“ lautet das Motto der Verbindung. Ob auf der Karriereleiter oder als Hausfrau, das soll jede für sich entscheiden.

Tradition hin oder her: Wozu die Bierfüxe, wozu die Vorschriften? „Im Verbindungsmilieu gibt es klare Regeln“, erklärt mir Sophie. „Es geht in der Fuxenzeit nicht darum, zu schauen, ob die Freundschaft funktioniert, sondern darum, ob die Person sich in die Strukturen einfügen will und kann.“ An den eisernen Prinzipien einer Verbindung haben die Frauen nicht gerüttelt. Warum treten sie trotzdem ein? „Die meisten Regeln gehörten für mich schon immer zum Alltag. Zum Beispiel, neue Menschen willkommen zu heißen“, erinnert sich Sophie an ihre Fuxenzeit. Und der Rest? Traditionen zu befolgen finde sie lustig, das gehöre eben dazu, sagt sie.

Der offizielle Teil des Abends ist vorbei. Das Bier trinken wir jetzt in lockerer Runde. Ich frage die hohe Dame Ulrike Zeuner, warum sie sich vor über zwanzig Jahren zum Beitritt entschied: „Ich bin bei der Kripo und sehe dort täglich Menschen alleine sterben. Die Verbindung ist für mich ein Rückzugsort.“ Tatsächlich wirkt die Atmosphäre zwischen den Frauen ungezwungen, fast familiär. Sie nehmen sich nicht zu ernst, wenn sie in ihrer Verbindungsmontur schunkelnd Studentenlieder trällern und dabei auch mal auf den Tischen tanzen.

Mittlerweile ist es ein Uhr nachts. Vorsichtig schaue ich mich um. Noch immer hat niemand einen Stuhl zertrümmert, auch die Gläser sind noch heil. Zerstörungswut scheint nicht in der Tradition der Frauenverbindung zu liegen. Ich verbuche das als Erfolg. Auch als fremdenfeindliche Nationalistinnen haben sich mir die Frauen in der Zeit meines kurzen Einblicks nicht präsentiert. Eine der Bierfüxe möchte nach Hause gehen. Dazu muss sie die Seniora um Erlaubnis bitten. Das habe ich am heutigen Abend dann doch gelernt: Traditionen enden nicht. Auch nicht nach Mitternacht.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.