Wer zu später Stunde mit der Berliner U-Bahn fährt, bemerkt schnell: Die badeentengelben Züge sind nicht nur ein ästhetischer Totalausfall, sondern auch ein fahrendes Kuriositätenkabinett. Von Thekla Brockmüller
Samstagmorgen, fünf Uhr. Gerade noch dröhnte im Club der Techno-Bass, schon sitze ich in der U-Bahn. Eigentlich will ich mich in meine flauschigen Kissen werfen und von rosa Schäfchenwolken träumen, stattdessen hypnotisiert mich das rhythmische Rattern der Bahn.
Das Berliner Fortbewegungsmittel im betörenden Badeentengelb ist nicht nur von außen hässlich: Innen schimmert der Boden grün-glitschig und das Muster der getupften Sitze überfordert sowohl meine Augen als auch meinen Sinn für Geschmack. Von der perspektivischen Missgeburt des Brandenburger-Tor-Musters an den Fenstern und dem Geruch nach modrigem Abfall ganz zu schweigen. Meine Mitfahrenden scheint das alles nicht zu stören: Eine Frau mit auftätowierten Augenbrauen kratzt sich dunkellila Nagellack von den Fingern, im Sitz hinter ihr versucht ein Mann krampfhaft, den letzten Tropfen aus seiner Spätburgunderflasche zu saugen.
Zum Glück klärt uns ein Stalin-Liebhaber noch über den wahren Verlauf des Zweiten Weltkrieges auf. Am Bahnhof Südstern steigt der selbsternannte Geschichtslehrer aus und schreit draußen weiter. Mir bleiben noch fünf Stationen und ein warmer Sitzplatz. Doch auch wenn es nach einer langen Nacht verlockend ist, in dieser U-Bahn gilt: Bloß nicht einschlafen!