Sex, Gewalt und Langeweile

In den 120 Tagen von Sodom” mimen die Schauspieler das Verspeisen von Kot. Cecilia T. Fernandez findet trotzdem: Am schlimmsten sind jene Momente, in denen sie nicht den Mund voll haben.

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Unter der Regie von Johann Kresnik läuft „120 Tagen von Sodom” an der Berliner Volksbühne. Foto: Thomas Aurin.

Achtung, Achtung: Hier geht es um Kapitalismuskritik! Das kann eigentlich keinem Zuschauer in der Aufführung von Johann Kresniks Die 120 Tage von Sodom” entgangen sein – so ostentativ wurde das Publikum in der Volksbühne Berlin auf die Missstände der Gesellschaft hingewiesen. Ausbeutung, Konsum, Soziale Medien, Antidepressiva, Popkultur: Ein Reigen vermeintlicher Krankheiten des kapitalistischen Systems wurde auf der Bühne angeprangert.

Man könnte meinen, die Botschaft sei durchgedrungen. Kresnik geht aber lieber auf Nummer sicher: Nach 100 Minuten penetranter Plattitüden regnen noch einige bedruckte Zettel auf die Zuschauer. Auf der einen Seite des Blattes ist ein Zitat Obamas abgedruckt; auf der anderen eines aus George Orwells 1984”. Danke, liebes Erziehungstheater.

Kunstblut, Kacke und Kannibalismus

Zwischen den unerträglich simplifzierenden Dialogen zum bösen Geist des Kapitalismus, dem Niedergang der Kultur und der Korruption der herrschenden Klassen wurde in den „120 Tage von Sodom“ gefickt, gemordet und geschissen. Ja, es gab reichlich Kunstblut, Kacke und Kannibalismus. Nichts anderes war ja bei der Vorlage des Stücks zu erwarten: In dem Roman des Marquis de Sade verschanzen sich vier Vertreter der oberen Klassen in einem Schloss, um ihren dunkelsten Gelüsten nachzugehen und gewähren einen schier unerträglichen Einblick in menschliche Abgründe.

Wo es dem Marquis de Sade aber genau darum geht, die Grenzen jeder Moral zu sprengen, will Kresnik das Gegenteil erreichen. Sein Stück versucht nicht, die Moral vergessen zu machen, sondern ihr Verschwinden zu bedauern. Der Zuschauer soll mit der Verkommenheit der Mächtigen konfrontiert werden – in diesem Fall vertreten von einem Richter, einem Wall-Street-Banker, einem deutschen Abgeordneten und einem Bischoff.

Die Protagonisten tun ständig ihre eigene Bosheit kund: Von großer Lust durch große Verbrechen, Korruption und der gezielten Indoktrinierung der Massen ist die Rede. Die gezeigte Gewalt wird damit obsolet. Was verrät dem Zuschauer die Szene noch, in der eines Gekreuzigten Penis abgeschnitten und als Oblate verspeist wird, das nicht die unendlichen Monologe schon dargeboten hätten? Wenn ein viel beschworener Grundsatz der narrativen Künste lautet: Show, don’t tell”, heißt es bei Kresnik: Zeige es und erzähle es zugleich immer und immer wieder”. Das ermüdet und langweilt.

Kapitalismuskritik als Verschwörungstheorie

Dabei schießt das Stück in seiner Kritik wahllos in alle Richtungen – und trifft damit nie so richtig. Alle Aspekte der modernen kapitalistischen Gesellschaft werden hier verteufelt, Flüchtlingsproblematik und Facebooksucht gleichermaßen gegeißelt.

Spätestens als angedeutet wird, die Mondlandung sei eine Inszenierung gewesen, um die Menschen zu begeistern, driftet die Kritik in die Verschwörungstheorie ab. Spätestens. Und als einer der Protagonisten dann in Nazi-Uniform erscheint, ist klar: Hier wird völlig undifferenziert mit plakativen Bildern des Bösen um sich geworfen. Blutige Vergewaltigungen dienen als untermalender Schockeffekt dieser paranoiden Kritik.

Eigentlich ist es schade, dass die 120 Tage von Sodom” ein so schlechtes Stück ist. Es ist schade um die Schauspieler, die mit vollem Körpereinsatz spielen, schade auch um die eingestreuten Choreographien, die viel mehr über den Körper als Konsumgut verraten, als jede langwierige Rede, schade um imposante Bühnenbild, das hervorragend mit den Bühnentiefen spielt. Ihre Leistungen gehen in der liturgisch-hirnlosen Phrasendrescherei völlig unter.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. Pozzo sagt:

    Das (wenige) klingt für mich doch sehr nach (Selbst)ironie. Aber das kann man vermutlich nicht verstehen, wenn man mit einer antiantikapitalistischen Haltung in die Vorstellung geht und dabei doch nur sehr vage weiß, was Kapitalismuskritik eigentlich bedeutet.

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