Fällt in einem Gespräch das Wort „Sizilien“ folgen meist Assoziationen mit dem Vulkan Ätna oder Mafiaboss Vito Corleone aus „Der Pate“. David Rouhani hat auf der Insel mehr gesehen als Lava und Verbrechen.
Am Flughafen von Catania geht es beschaulich zu. Der Massentourismus hat noch nicht auf die größte Mittelmeerinsel gefunden. Dabei bietet Sizilien traumhafte Strände, Sonne satt und eine spannende Vergangenheit. Die Griechen waren hier, die Römer und ab dem 9. Jahrhundert die Araber. Zu Zeiten der Normannen und der Staufer gehörte Sizilien zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Es folgten Spanier, Österreicher und schließlich die Einigung Italiens 1861.
Aus dieser Geschichte resultierte ein vielfältiges kulturelles Erbe, das sich vielerorts bestaunen lässt. Bei einem Abendspaziergang in der Altstadt von Taormina, die auf Klippen über dem Mittelmeer thront. In der Hafenstadt Syrakus, UNESCO Weltkulturerbe und einst wichtiger Stützpunkt für die Expansion des antiken Griechenlands oder aber in Palermo, Noto oder Agrigent. Rund um jene Orte ballen sich auch die wenigen Touristen, die die Insel für sich entdeckt haben.
Im Abseits – der sizilianische Alltag
Weit abseits dessen befindet sich Vittoria, eine 60.000-Einwohner-Stadt im Südwesten. Hierher verirrt sich kein Tourist. Hier herrscht das ganze Jahr über der sizilianische Alltag. Der Putz bröckelt von den alten Hauswänden, am Straßenrand sammelt sich der Müll und an fast jeder Ecke steht eine Bauruine. Schon seit meiner Geburt komme ich regelmäßig hierher. Geändert hat sich im Laufe der Zeit wenig, zumindest nicht zum Besseren. Die Arbeitsplätze sind knapp und häufig befristet. Einheimische berichten von Korruption und Schutzgelderpressungen. An eine bessere Zukunft für sich und die eigenen Kinder glaubt hier niemand.
Die Aussichten für die Jugend sind in der Tat nicht rosig. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt jenseits der 50 Prozent. Auch bei abgeschlossenem Studium schafft es kaum jemand ohne familiäre Beziehungen in eine sichere Position. „Ihr jungen Leute in Deutschland arbeitet, um zu reisen. Wir müssen erstmal verreisen, um überhaupt arbeiten zu können“, sagt Salvo Aniello. Salvo ist 19 Jahre alt und möchte ab Oktober in Catania Betriebswirtschaft studieren. Er spricht davon, dass er dieses Land verlassen müsste – eigentlich. Es bleibt beim Konjunktiv.
Sizilianische Gastfreundschaft
Aufgenommen werde ich hier als Gast dennoch herzlich und mit aufrichtigem Interesse. Jeder noch so weit entfernte Verwandte lädt zum Abendessen. Dort werden gleich mehrere Gänge sizilianischer Köstlichkeiten aufgetischt, damit ich bloß nicht ohne Urlaubsspeck nach Hause fliege. Es gibt Arancini – frittierte Reisbällchen gefüllt mit Hackfleischsoße, Foccacie – Teigtaschen mit Gemüse oder Salsiccia – die sizilianische Version der Bratwurst. Großzügigkeit und Gastfreundschaft werden hier groß geschrieben.
Die heißen Sommermonate verbringen viele Familien aus Vittoria in kleinen Siedlungen am Meer, wie dem „Passo Marinaro“. Hier wechseln sich einfache Steinbaracken ab mit hübschen kleinen Häusern mit Vorgarten und Gewächshäusern bedeckt mit Plastikplanen, in denen Männer versuchen, durch Gemüseanbau das Überleben ihrer Familie zu sichern. Die anderen Berufstätigen verbringen den Tag in der Stadt, während die Kinder die Ferien genießen können. Doch nach Feierabend bleibt schließlich ein wenig Zeit, um gemeinsam an den Strand zu gehen und beim Sonnenuntergang über dem Meer den Alltag zu vergessen. Die Sonne wird wieder aufgehen über Sizilien. Nur ändern wird sich wohl kaum etwas.