Auf vielen Gehwegen Europas sind sie zu finden: goldene Stolpersteine, die an Opfer des Holocaust erinnern. Nun ist auf Initiative der FU-Studentin Véronique Mickisch ein neuer hinzugekommen. Von Anke Schlieker
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Grauer Himmel, grauer Asphalt, ein grauer Neubau. Doch zwischen den grauen Platten des Gehwegs in Friedrichshain-Kreuzberg glänzt golden eine kleine Messingtafel. Frisch verlegt erinnert seit vergangenem Montag ein Stolperstein an den polnischen Juden Leo Adler, der 1939 durch die Wehrmacht ermordet wurde. An der Verlegung nahmen seine letzte lebende Tochter sowie zahlreiche Nachfahren Adlers teil.
Initiiert wurde die Verlegung durch Véronique Mickisch, Studentin am Osteuropainstitut (OEI) der FU. Im vergangenen Wintersemester besuchte sie ein Seminar, das sich mit der sogenannten „Polenaktion“ auseinandersetzte. Im Rahmen dieser wurden am 28. November 1938 bis zu 17.000 polnische Juden aus dem Deutschen Reich ausgewiesen und in die deutsch-polnische Grenzstadt Zbaszyn deportiert.
Unter ihnen war Leo Adler. Im November 1939 wurde Adler in einem der ersten Massaker des Zweiten Weltkriegs in Dynow ermordet. Etwa 200 Juden fielen dem Massaker der Wehrmacht zum Opfer. Seine Familie überlebte und wanderte schließlich in die USA aus.
Fehlende Aufarbeitung
Die „Polenaktion“ war indirekt Auslöser für die Novemberpogrome 1938. Sie selbst wurde in der Geschichtsschreibung aber als einfache Vorgeschichte für diese abgetan. Deswegen ist bis heute nur wenig zu diesem Teil der Geschichte erforscht.
Das Seminar am OEI versucht, diese Forschungslücke zu schließen. „Der Ansatz des Seminar war es, den Schwerpunkt auf die Aufarbeitung von den Schicksalen individueller Familien zu legen, die von der „Polenaktion“ betroffen waren“, erzählt Véronique. Alle Teilnehmer setzten sich individuell mit einer Familie auseinander. So entstand auch Véroniques Kontakt zu Familie Adler, die sie schließlich sogar in den USA traf.
Stolpern und Erinnern
Der Stolperstein für Leo Adler ist jedoch nur der erste, der von den Studenten des OEI beantragt wurde. Zwanzig weitere sollen folgen. Die Finanzierung organisierten die Studenten über eine Crowdfunding-Website. Die Idee zu der Initiative sei von den Studenten selbst gekommen, sagt Alina Bothe, Leiterin des Seminars am OEI. „Sie haben gesagt, wir wollen daraus noch etwas machen; wir wollen, dass an diese Leute erinnert wird.“ Ein Stolperstein tue dies wirklich dort, wo der Mensch gelebt hat und erinnere damit an die individuelle Person.
Verlegt wurde der Stolperstein von dem Künstler Gunter Demnig. Der Begründer des Projekts „Stolpersteine“ stellt alle Steine selbst her und verlegt sie vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der Opfer des Nationalsozialismus. So sollen die Steine an den Menschen erinnern und den häufig zu Nummern degradierten Opfern ihre Namen zurückgeben. 55.000 gibt es davon bereits in ganz Europa, allein 5.000 in Berlin.
In der an die Verlegung anschließenden Gedenkfeier für Leo Adler hob einer der Enkel die Bedeutung des Stolpersteins für die Familie hervor: „Ich nenne es einen Lebensstein, im Gegensatz zu einem Grabstein. Und unsere Kinder und Enkelkinder und alle kommenden Generationen, sie können zum Lebensstein kommen und müssen nicht auf einen Friedhof gehen. Sie werden sehen können, wo sein Leben wirklich stattfand.“