Aus Kunst werde Wissenschaft – oder?

Die „Ballett-Universität“ soll eine Begegnung zwischen Tanzwissenschaft und praktischer Kunst ermöglichen. Sarah Ashrafian hat eine Veranstaltung der Vortragsreihe besucht und war vor allem verwirrt.

Reinhild Hoffmann und Martin Puttke tanzten während ihres Vortrags auch selbst vor. Foto: Sarah Ashrafian

Reinhild Hoffmann und Martin Puttke tanzten während ihres Vortrags auch immer wieder selbst. Foto: Sarah Ashrafian

Was ist eine Pirouette? Und wann genau ist eigentlich der klassische Tanz entstanden? Die Vortragsreihe „Ballett-Universität“ soll genau diese Fragen klären. In Kooperation mit dem Berliner Staatsballett organisiert die FU die Vorlesungsreihe, um Interessierte über Praxis und Geschichte des Tanzes zu informieren. Das Thema der zweiten Veranstaltung der Reihe am vergangenen Dienstag sollte „Berlin als Tanzstadt: Was war – was ist – was kommt?“ sein.

„Ich glaube, wir können jegliche Planung des Abends knicken“, warnt jedoch Gabriele Brandstätter, die Moderatorin der Diskussionsrunde, die Zuschauer schon zu Beginn des Vortrags. Eigentlich soll es ein Gespräch zwischen Professor Martin Puttke und Reinhild Hoffmann geben. Er: Wegbereiter des klassischen Akademischen Tanzes, sie: eine der wichtigsten Vertreterinnen des Tanztheaters. Also eigentlich eine Kombination, von der die Zuschauer eine kontroverse Diskussion erwarten können, schließlich vertreten die beiden unterschiedlichste Stile und Formen des Tanzes. Aber alles eben nur eigentlich.

Nicht so wirklich kontrovers

Denn die beiden widersprechen sich in keinem Punkt des Gesprächs. Wenn man denn von einem Gespräch reden kann. Denn eigentlich hält Martin Puttke einen 90-minütigen Monolog, den er ausgiebig vorbereitet hat, mitsamt Videos und Bildern. Auch scheut er sich nicht, selbst vorzutanzen, um gewisse Bewegungsabläufe zu demonstrieren. Hin und wieder wirft Reinhild Hoffmann Kommentare ein, die wie eine Provokation klingen sollen, inhaltlich aber dem von Puttke Gesagten in keiner Weise widersprechen.

Schon bald ist den Zuschauern klar: Die zwei Redner sind in erster Linie Künstler. Ihr Auftreten, ihre Sprache, ihr Charisma – alles zeugt von Künstlerattitude. Deswegen übernimmt ihre künstlerische Freiheit das Steuer und wirft auch das vorgegebene Thema schließlich vollends über Bord. Anstatt den Ort Berlin aus einer tanzwissenschaftlichen Perspektive zu beleuchten, geht es nun um Kinetographie – eine Theorie über Bewegungsabläufe, die vom ungarischen Tanztheoretiker Rudolf von Laban im 20. Jahrhundert entworfen wurde. Wer nicht den leisesten Schimmer von Ballett hat, kann da nur schwer folgen. „Na, Sie kennen das ja. Plié, Battement, Tendus und so weiter“, sagt Puttke. Nein, leider nicht.

Das Ballett muss menschlicher werden

Puttkes These des Abends lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen. Der klassische Tanz hat die Grundelemente der menschlichen Bewegung auf einem so hohen Niveau etabliert, dass sie oft fremd und objektiviert erscheinen. Die Aufgabe eines guten Lehrers wäre es, auf die Anatomie des einzelnen Schülers einzugehen und individuell zu lehren, um seinen Tanz wieder lebendiger zu machen.

Eine sehr sympathische These, die klassischen Tanz menschlicher erscheinen lässt. Nicht wie eine abgehobene Sphäre voller perfektionierter Tänzern. Und doch beschleicht den Zuschauer bei der Ballett-Uni das Gefühl, dass Tänzer wohl doch ein wenig abgehoben sind, während er diesen beiden Rednern zuhört. Aber schließlich sind sie ja auch Künstler – die dürfen das.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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