Narziss hält den Spiegel vor

Zwischen den Statuen in der Abguss-Sammlung Antiker Plastik der FU werden unter dem Titel „Narziss” zurzeit Georg Weises wundersame Bilder ausgestellt, in denen sich so mancher vielleicht wiedererkennt. Von Hanna Sellheim

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Wer die Abguss-Sammlung Antiker Plastik betritt, der starrt in tausende leerer Augen. Von allen Seiten ist der Besucher von den Kopien antiker Statuen umgeben; 360 Grad griechisches Schönheitsideal, muskulöse Arme, gerade Nasen und feingliedrige Hände, wohin man auch blickt. Nun gastiert dort die Ausstellung „Narziss” des Berliner Künstlers Georg Weise.

Hat man sich einmal an das ganze Weiß der Gips-Abdrücke gewöhnt, entdeckt man versteckt zwischen den Skulpturen seine Bilder. Kreuz und quer hängen sie hier: manche hoch über in Stein gemeißelten Sokrates-Köpfen, andere mitten zwischen der Venus von Milo und dem mit Schlangen kämpfenden Laokoon. „Ich finde, die Sammlung hat eine traumhafte, unwirkliche Atmosphäre“, erklärt Georg Weise die Wahl des Ortes seiner Ausstellung.

Allein inmitten lebloser Gesichter

Die ohnehin schon verloren wirkenden Figuren in Weises Porträts wirken in dieser Flut aus Gips noch kleiner, eingeschüchterter. Bei fast allen handelt es sich um junge Männer, fast noch Kinder. Sie halten den Kopf gesenkt, fangen so gut wie nie den Blick des Betrachters auf, drehen ihm häufig sogar den Rücken zu. Sie sehen aus wie von ihren Eltern gescholtenen Kinder. Fast immer sind sie allein auf den Bildern, scheinen isoliert. Umgeben sind sie von spärlich bemalter Leinwand, in der sie sich aufzulösen beginnen, häufig nur in Gesellschaft eines laublosen Baumes oder eines morbide verformten Telefonmasts.

Manchmal sind neben ihnen Namen auf die Leinwand gekritzelt: neben dem kleinen Jungen in „Genaro“ steht in schlichten Großbuchstaben der Name Georg. „Es ist erstaunlich, wie viel von sich selbst man unbewusst auch in die Porträts anderer hinein malt. Da entstehen oft unvorhergesehene Ähnlichkeiten“, sagt Weise, der dieses Bild als sein liebstes bezeichnet. Inmitten der prototypischen, idealisierten Statuen der Antike bilden Weises Porträts so kleine Oasen der Individualität. Passend dazu wurde auch der Titel der Ausstellung gewählt. Die Bilder sollten einen Spiegel für den Betrachter darstellen, wie der See Narziss als Spiegel seiner Selbstverliebtheit gedient habe.

Instinktives, emotionales Malen

Auch farblich fügen sich die Bilder gut in die Sammlung ein, die vor allem in Naturtönen wie grau und beige gehalten sind. Neben der Klarheit der griechischen und römischen Statuen der Klassik mit ihrer kompromisslos perfekten Anatomie und ihrer zielgerichteten Dynamik wirken Weises Werke mit ihren verschlungenen Linien und der unregelmäßig aufgetragenen, verlaufenden Farbe rätselhaft und geheimnisvoll. Sie scheinen neben den minutiös geplanten Skulpturen wie Ergebnisse der Impulsivität, des Zufalls. „Ich kalkuliere keine Wirkung, sondern gehe beim Malen instinktiv vor. Mir geht es darum, Gefühle zu artikulieren, die der Betrachter nachvollziehen kann“, so Weise.

Auch wenn die Ausstellung in der Abguss-Sammlung sicherlich keine typische ist, so ist sie dennoch sehenswert. Das Wirrwarr aus Skulpturen und Bildern, die sich mit ihrer unterschiedlichen Dimensionalität gegenseitig kontrapunktieren, erinnert an ein Atelier, lässt sie scheinen, als seien sie noch mitten im Entstehungsprozess. Das bringt sie dem Betrachter weitaus näher, als es ein kalter Museumssaal je könnte. Zusammen komponieren Statuen und Bilder so eine Collage aus Gesichtern, deren Mimik er sich nicht entziehen kann. Das soll er auch gar nicht. „Meine Bilder sollen mit poetischen Elementen trösten. Ironische Brechung oder Sarkasmus spielen dabei keine Rolle“.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 21. Februar 2016 und ist donnerstags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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