Klaus-Dieter Langer sehnt sich nach Freiheit. Doch die gibt es für ihn nur noch im Geiste. Wegen Bankraubs sitzt er seit zehn Jahren im Knast. Trotzdem studiert er. Von Sarah Ashrafian
Klaus-Dieter Langer schaut zwischen den geweißten Gitterstäben hindurch ins Freie, auf einen schmalen Streifen Wiese, meterhohe graue Mauern und Stacheldraht. Er weiß, dass das kein schöner Ausblick ist und doch mag er ihn. Denn er genießt ihn von seinem Lieblingsort aus: dem Studienraum der JVA Tegel.
Langer hat ein zerfurchtes Gesicht, seine Glatze versteckt er unter einer blauen Wollmütze. Er ist einer von sechs Inhaftierten, die während ihrer Haftzeit in der Justizvollzugsanstalt ein Fernstudium absolvieren. Während andere Häftlinge in der Druckerei und in der Stahlverarbeitung arbeiten, grübeln Langer und seine Kommilitonen täglich acht Stunden über den Büchern von Max Weber und Michel Foucault.
Für ihre Studenten hat die JVA Tegel spezielle Computersysteme eingerichtet, über die sie auf Lernmaterialien zugreifen können. Trotz Internetverbot können die Häftlinge zumindest für die Texte auf die Lernplattformen der Fernuni. Diese sind dem FU-Blackboard ähnlich.
Auch im Auf bau gleicht das Studium dem an einer normalen Uni. Hausarbeiten schreiben die Knast-Studis zwischen den Semestern, am Ende des Semesters gibt es eine Klausur, die ihnen die Fernuni Hagen zusendet. Geschrieben wird sie nicht in der Zelle, sondern im Lehrraum. Für einige Stunden ist dann alles wie an einer Uni außerhalb der Mauern – nur die Dozenten fehlen.
Vor zehn Jahren trat Langer seine Haft an. Wegen schweren Bankraubs verurteilte ihn das Gericht zu 15 Jahren Gefängnis. Im Jahr 2011 fing er seinen Master in Soziologie an. Es ist nicht der erste Uni-Abschluss, den er im Gefängnis macht. Und es ist auch nicht seine erste Haftstrafe. Schon einmal saß er wegen Bankraubs ein.
Während jener Inhaftierung schloss er seinen Bachelor in Erziehungswissenschaften ab. Nach der ersten Entlassung erlangte Langer an der FU das Diplom. Warum gerade dieses Studium ihn reizte? „Mein Sohn ist leicht behindert“, sagt Langer. Durch das Studium könne er sich nun leichter vorstellen, was das bedeutet und besser mit seinem Sohn umgehen.
Bei seinem zweiten Haftantritt war ihm sofort klar: Er will wieder studieren. Seine Sozialarbeiterin war eigentlich dagegen: „Sie meinte, in meinem Alter würde mir der Master in Soziologie nichts mehr für die Reintegration in den Arbeitsmarkt bringen.“ Aber um die geht es Langer auch nicht mehr.
Denn das Studium im Knast erfüllt ihn, fordert ihn. Es lässt den eintönigen Alltag hinter Gittern sinnvoller erscheinen. Wenn er wieder einmal einen schweren Text am Ende eines langen Tages verstanden hat, hat er das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Für dieses Gefühl ist er dankbar: „Hier zu studieren ist ein Privileg.”
Für Langer ist es zudem eine Chance auf eine „geistige Integration“, wie er sie nennt. Durch das Studium blicke er reflektierter auf seine Taten, so Langer. Und genau darum gehe es auch, sagt Ralph Gretzbach, Studienkoordinator in der JVA Tegel. „Wir glauben daran, dass Bildung den Häftlingen hilft, später wieder Anschluss an die Gesellschaft zu finden.“ Was für die Zeit nach dem Gefängnis eine gute Vorbereitung sein kann, bereitet den Studierenden während ihrer Haft mitunter Probleme. Oft spüre Langer den Neid der übrigen Insassen, erzählt er. „Als Akademiker ist man hier nicht anerkannt.“
„Das Studierzimmer bleibt aber immer meine kleine Oase des Friedens“, sagt Langer. „Hier unterstützen mich Menschen, die auch was zu sagen haben.“ Außerhalb seiner Oase, erzählt er, fühle sich alles so tot an.