Die Berliner Universitäten reagieren auf den anhaltenden Flüchtlingsstrom: Mit Deutsch- und Schnupperkursen wollen sie den Geflüchteten Zugang zum akademischen Leben gewähren. Die FU hinkt hinterher. Von Max Krause
Mohammed ist nicht anspruchsvoll. Der 21-Jährige hat ein Jahr Geografie studiert, jetzt will er auf Informatik umsatteln. Der Grund: Dort ist es leichter, einen Studienplatz zu bekommen. Mohammed kommt aus Syrien, er ist vor dem Krieg geflohen. Seit einem halben Jahr ist er in Deutschland. Sein Wunsch nach einem Studium ist nicht nur akademisch motiviert. „Ich hätte gern mehr Kontakt zu Deutschen. So kann ich die Sprache schneller lernen und mich hier einleben“, sagt er. Doch bis er regulär an die Uni kann, wird es dauern.
Seit dem Wintersemester gibt es das Programm „Welcome@FU“, das Asylbewerbern den Weg in das akademische Leben Deutschlands ebnen soll. Im Rahmen des Willkommensprogramms nimmt Mohammed sowohl an einem Deutschkurs teil als auch an einem Seminar, das Einblick in die Gesellschaft und den Studienalltag in Berlin bieten soll. Ein Besuch der East Side Gallery steht ebenso auf dem Programm wie ein Vortrag über die Gründung des Deutschen Reiches. Außerdem können die Teilnehmer ausgewählte Lehrveranstaltungen der FU besuchen.
Doch damit bleibt die FU Nachzüglerin unter den Berliner Universitäten. Sowohl die Humboldt- als auch die Technische Universität haben ihr Programm bereits Ende August ausgearbeitet. „Die FU stand unter Zugzwang“, sagt Theresa Bischof. Die Lehramtsstudentin ist Teil der Hochschulgruppe „la:iz“, die kürzlich eine Vollversammlung zu dieser Problematik organisiert hat. Bischof glaubt, dass das Programm nur ins Leben gerufen wurde, damit die FU keinen Imageschaden erleide. Denn viele andere deutsche Unis zeigten früher Initiative: In Hamburg, München und Heidelberg lernen Flüchtlinge schon einen Monat länger Deutsch.
Theoretisch könnten sich anerkannte Flüchtlinge ganz regulär an Universitäten einschreiben. In der Praxis gelingt das aber selten. Fehlende Deutschkenntnisse oder bürokratische Hindernisse wie verlorene Zeugnisse machen ein Studium meist unmöglich. So könnte Mohammed sich theoretisch auf ein höheres Fachsemester in Geografie bewerben – die Kenntnisse hat er. Doch Papiere, die das bezeugen, nicht. Auf der anderen Seite verlieren Flüchtlinge, die sich immatrikulieren, Anspruch auf Sozialleistungen – ähnlich wie deutsche Studierende, die keinen Anspruch auf Hartz IV haben.
Da Flüchtlingen meist nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um ein Studium zu stemmen, müssten sie Bafög beantragen. Diesen Anspruch können sie jedoch nicht geltend machen, da sie dafür mindestens 15 Monaten in Deutschland leben müssten. Eine lange Zeit, in der Flüchtlinge nichts tun können, außer warten. Bisher gesammeltes Wissen verkümmert.
„Die Finanzierungslücke ist derzeit das größte Problem“, sagt Theresa Bischof. Das Studentenwerk Berlin bietet zwar für Flüchtlinge eine einmalige Unterstützung in Höhe von 1000 Euro. Doch für eine Überbrückung ist diese nicht gedacht. Ursprünglich sollten dadurch sozial benachteiligten Studienanfängern Investitionen – wie zum Beispiel ein Laptop – ermöglicht werden. Erst später wurde die Finanzierung auf Flüchtlinge ausgeweitet. Bislang gibt es in dem Programm jedoch lediglich 25 Plätze.
Ein Problem, bei dem die Hochschulen selbst wenig ausrichten können? Bischof widerspricht: Die FU könne zum Beispiel Stipendien anbieten – oder sich beim Berliner Senat dafür einsetzen, eine landesweite Förderung einzurichten. Bislang bestehen der Universität zufolge aber keine derartigen Pläne. Stattdessen soll das Programm der FU helfen, die Brücke zu schlagen, bis die Asylbewerber die bürokratischen Anforderungen erfüllen und ein reguläres Studium aufnehmen können.
In vielen Fällen gelingt dies allerdings nicht. Das größte Problem von „Welcome@FU“ ist ironischerweise dessen Bürokratie: Um an dem Programm teilnehmen zu können, müssen Flüchtlinge eine Aufenthaltsgenehmigung vorweisen. Viele warten darauf monatelang. Auf die Frage, wie die FU mit diesem Problem umgehen will, antwortet FU-Sprecher Goran Krstin: „Der Nachweis einer Aufenthaltsgestattung ist obligatorisch.“
Doch auch diejenigen Flüchtlinge, die die nötigen Papiere vorweisen, stoßen auf neue Probleme. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe boten weniger als die Hälfte aller Fachbereiche der FU überhaupt Lehrveranstaltungen an, die für Flüchtlinge offen stehen. Selbst wenn die Geflüchteten Glück haben und ihr Fachgebiet dabei ist, können sie keinerlei Leistungsnachweise erwerben. Sollten sie später offiziell studieren, müssten sie die Kurse wiederholen.
„In seiner derzeitigen Form ist ‘Welcome@FU’ lediglich ein ausgebautes Gasthörerinnenprogramm“, kritisiert Bischof. Die FU stellt in Aussicht, dass die Teilnehmer bald zumindest Leistungsnachweise erbringen können: „Wir gehen davon aus, dass dies schon im kommenden Sommersemester umgesetzt werden kann.“ Bisher standen dem angeblich rechtliche Fragen im Wege.
„Das liegt natürlich auch an der politischen Linie der Universität“, sagt Abraham van Veen, der das Schwesterprogramm „In(2) TU Berlin“ koordiniert. Im Vergleich zur FU herrsche an seiner Universität ein anderes Selbstverständnis: „Ob die Flüchtlinge eine Aufenthaltsgenehmigung mitbringen, ist für uns nicht relevant. Die Menschen, die an dem Programm teilnehmen, gehören zu unserer akademischen Familie.“ Missbrauchsgefahr sieht van Veen dennoch nicht. „Neunzig Prozent der Programmteilnehmer sind Syrer, die ohnehin höchstwahrscheinlich eine Genehmigung bekommen.“ Ungefähr einhundert Geflüchtete nehmen derzeit an der TU als Gasthörer an Lehrveranstaltungen teil. Grundsätzlich stünden alle Kurse offen, sagt van Veen. In Absprache mit den Dozenten können die Geflüchteten sogar Leistungsnachweise erbringen.
Van Veen legt Wert darauf, dass die Flüchtlinge von dem Angebot erfahren. „Dafür versuchen wir natürlich, möglichst viele Gespräche mit der Presse zu führen.“ Florian Kohstall, der an der FU das Flüchtlingsprogramm leitet, stand nicht für ein Interview zur Verfügung.
Vor allem die unterschiedlichen Kommunikationstrategien der Universitäten schlagen sich in Anmeldezahlen nieder: Während die TU von über 120 Anmeldungen für Deutschkurse nur 60 zulassen konnte, ist das Programm der FU nicht einmal ausgelastet. Denn auf 72 Plätze kommen laut Pressestelle etwa 60 Flüchtlinge.
„Natürlich könnte die FU mehr tun. Es ist eben alles eine Frage der Prioritäten“, sagt Bischof. Eine Universität, deren Aushängeschild Internationalität ist, könnte jetzt ihre Prioritäten betonen – dies wäre ein Beweis dafür, dass das Flüchtlingsprogramm kein bloßes Feigenblatt ist.