„Die Wüste ist ein offenes Grab“

Wüste und Klapperschlangen statt überfüllten Booten auf dem Mittelmeer – auch an der US-Mexikanischen Grenze sterben viele Migranten. Jason De León erforscht, was dort vor sich geht. Von Rebecca Stegmann

Anthropologe Jason de León forscht in der mexikanischen Wüste. Foto: Rebecca Stegmann

Anthropologe Jason de León forscht in der mexikanischen Wüste. Foto: Rebecca Stegmann

Prävention durch Abschreckung – so heißt die Strategie der USA, die Einwanderer aus Lateinamerika davon abhalten soll, illegal in die USA zu gelangen. Zäune und Wachen in den Städten zwingen die Migranten zum Grenzübertritt in der Wüste. Der amerikanische Anthropologe Jason de León war kürzlich an der FU zu Gast und stellte sein Buch “The Land of Open Graves“ vor.

FURIOS: Herr De León, Ihr Buch basiert auf Ihrer Feldforschung zu undokumentierter Migration. Wie sieht ein typischer Tag an der Grenze aus?

Jason de León: An manchen Tagen sind wir in der Wüste und sehen uns Sachen an, die zurückgelassen wurden, wie Rucksäcke, Schuhe, Wasserflaschen. Wir nehmen die Koordinaten der Fundstelle, fotografieren und archivieren. An anderen Tagen sind wir in den Migrantenunterkünften und führen Interviews mit Menschen, die gerade deportiert wurden oder sich auf den Grenzübertritt vorbereiten. Wir haben auch forensische Experimente zu Leichenverwesung in der Wüste durchgeführt – mit toten Schweinen als Substituten für Leichen.

Auf den Tod verweisen Sie schon in Ihrem Buchtitel. Warum heißt es “The Land of Open Graves”?

Weil in dieser Wüste Tausende von Menschen gestorben sind. Viele von ihnen werden nie gefunden, weil die Umwelt ihre Körper zerstört. Die Wüste ist durch die Politik der USA zu einem offenen Grab geworden. Auch im metaphorischen Sinne – die Wüste ist eine Todesfalle, aus der die Menschen durch ihre Willenskraft und mit Glück heraussteigen.

Was macht die Wüste für Migranten so tödlich?

Wir reden von hunderten wenn nicht tausenden Quadratkilometern unbewohnter Gegenden, mit extremen Temperaturen, Klapperschlangen und anderen giftigen Tieren. Die Migranten laufen für mehrere Tage und dutzende Kilometer mit wenig Wasser, wenig Essen und schlechter Ausrüstung. Sie haben keinen Kompass und keine Karten. Man verläuft sich sehr schnell, das Wasser geht schnell aus und es ist einfach, sich einen Knöchel zu brechen oder das Knie zu verdrehen.

In Ihrem Buch erzählen Sie von Maricela. Was ist ihre Geschichte?

Maricela war eine Frau aus Ecuador. Wir fanden ihre Leiche in der Wüste in 2012, nur wenige Tage nachdem sie verstorben war. Ich konnte über das Ecuadorianische Konsulat Kontakt zu ihren Angehörigen herstellen. Sie hatte Ecuador verlassen, um in den USA Geld für die Schulbildung ihrer drei Kinder zu verdienen. Ich will mit dem Buch erreichen, dass Migranten nicht als diese namenslosen, gesichtslosen armen Menschen gesehen werden, sondern als Individuen mit komplizierten Hintergründen und interessanten Geschichten – wie Maricela.

Mit welchen Mitteln versuchen die Grenzschutzbeamten die Migranten zu fangen – und wie entkommen diese?

Der Grenzschutz lässt das Terrain für sich arbeiten. Sie fangen die Menschen nicht direkt an der Grenze, sondern lassen sie mehrere Tage laufen. Wenn die Migranten dann zu erschöpft sind, um wegzurennen, werden sie geschnappt. Die Migranten selbst tragen Tarnkleidung und versuchen, in den unzugänglichsten Gegenden zu wandern. Ihre stärkste Waffe ist ihr eiserner Wille – sie versuchen fünf, sechs, zehn Mal die Grenze zu überqueren, bis sie es schließlich schaffen.

Werden sie es auch weiter versuchen, sollte an der Grenze eine hohe Mauer stehen – wie von Präsidentschaftskandidat Donald Trump versprochen?

Auf jeden Fall. Trump nutzt Einwanderer als Sündenböcke – in den USA ist das Tradition. Wir US-Amerikaner hassen Migranten außer wenn sie unsere Teller waschen oder unser Essen kochen. Aber Trumps Versprechen, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu bauen, ist logistisch, ökonomisch und politisch gesehen ein Hirngespinst. Die Mauer ist nichts außer einer Metapher für die Angst vor Einwanderern. Die Menschen würden über sie klettern oder sich unter ihr durchgraben. Zu denken, dass man so Migranten draußen halten kann, ist lächerlich.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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