Der Uni fehlt es an Diskussionskultur! Das Schweigen der Kommilitonen in Seminaren ist unerträglich, findet Eva Famulla. Sie fragt sich, warum viele Studierende den Mund nicht mehr aufbekommen.
Der Dozent stellt eine Frage und blickt gespannt in die Gruppe. Eine Minute vergeht, zwei Minuten, drei. Langsam wird das Schweigen peinlich. Die Studierenden verkriechen sich hinter ihrem Laptop, Handy oder Schreibblock. Keiner traut sich, dem Dozenten in die Augen zu blicken. Nach fünf Minuten gibt dieser desillusioniert auf und füllt die restliche Seminarzeit mit einem monologartigen Vortrag. Bekannte Situation?
Wer jetzt nein sagen kann, dann herzlichen Glückwunsch! Wer stumm nickt, hat sich vielleicht schon gefragt: Was ist verkehrt mit den Studierenden? Ist nicht das Studium die Zeit für freie Meinungsäußerung, heiße Diskussionen und kritisches Denken? Wie viele Protestbewegungen und Revolutionen sind in der Universität entstanden! Nicht nur die 68er-Bewegung, sondern auch die Orangene Revolution 2005 in der Ukraine und die „Umbrella“-Revolution in Hong Kong 2014 wurden zu großen Teilen von Studierenden vorangetrieben.
Leistungsdruck und Angst
Davon ist heute an der FU kaum etwas zu merken. Warum kriegen so viele Studierende ihren Mund nicht auf? Angst vor Blamage? Aber die Universität ist doch der Ort, an dem wir solche Hürden ablegen sollten! Es gibt keine falschen Fragen und keine falschen Meinungen, nur schlecht argumentierte.
Die anderen sind viel schlauer, ich weiß doch gar nichts zum Thema? Es gibt Menschen, die können gut mit (Halb-)Wissen protzen. Und ja, das kann einschüchternd sein, in der Tat! Deswegen kommen diese Menschen auch meist sehr weit im Leben. Aber wenn man mal genauer nachfragt, bekommt man mit, dass der, der augenscheinlich alles weiß, auch nur einen Artikel in der Süddeutschen gelesen hat. Vor zwei Jahren mal. Im Zug. So nebenbei. Mehr Selbstvertrauen ist da das Losungswort – und das kann wirklich Wunder wirken!
Keine Zeit, alle Texte zu lesen? Der Modulplan ist zu voll? Die gestressten Studierenden also. Aber mal wirklich, das Studium ist nicht nur ein netter Zusatz im Lebenslauf, sondern auch freie und kostenlose Bildung. Natürlich wollen wir alle neben dem Studium auch noch das Leben genießen. Aber ist es wirklich besser stumm seine Zeit abzusitzen, anstatt auch mal den eigenen Schädel anzustrengen?
Es geht um allgemeines Desinteresse? Nun gut, dann sollte sich jeder selbst fragen, warum er dann noch seinen Hintern in der Uni breit sitzt. Wir leben in einer Welt mit tausend Möglichkeiten, zum Studieren zwingt uns keiner. Zum Denken auch nicht. Es gibt durchaus genug Berufe, bei denen man nicht denken muss. Vielleicht ist das dann die bessere Lösung.
Traut euch!
Das Problem der passiven Studierenden wurde auch schon von anderer Seite erkannt, so gab es bereits Initiativen wie den Workshop „Trau’ dich mehr! – Training für weibliche Studierende“ am Osteuropa-Institut. Dabei ging es vor allem um das Stärken von Selbstvertrauen in herausfordernden Situationen und um Verhaltensstrategien, mit denen mehr Präsenz in Diskussionen gezeigt werden kann. Ein guter Ansatz, denn ohne Diskussionen verliert ein Seminar seinen eigentlichen Zweck, für Studierende und Dozenten gleichermaßen.
Vielleicht sollte man ja einfach einen Pflicht-Kurs für Erstsemestler einführen: „Einführung in die Diskussionskultur“? Irgendwo muss man ja mal anfangen. Angst haben wir alle, nur mit ihrer Bewältigung gehen wir anders um. Und wir würden uns gegenseitig den Uni-Alltag schöner machen, wenn wir freier und öfter kommunizieren würden – auch in den Seminaren und mit den Dozenten.