Tunnelblick oder Elfenbeinturm?

Sollen wir Angewandte oder Allgemeine Literaturwissenschaft studieren? Politikwissenschaft oder doch lieber Governance? Immer mehr Studiengänge sind praxis- statt forschungsorientiert. Sie versprechen Praxisnähe und einen besseren Einstieg in den Beruf. Eine sinnvolle Entwicklung? Unsere Autoren im Pro und Contra

Illustration: die greta

Illustration: die greta

Pro, von Michael Fleck

Nach schier endlosen Tagen in der Bibliothek oder am eigenen Schreibtisch macht sich bei Studierenden häufig ein ernüchtertes Gefühl breit. Welchen Sinn hat es, sich mit schwer verdaulichen Theorien herumzuplagen, die mit dem späteren Berufsalltag nichts zu tun haben?

Da verwundert es nicht, dass jeder dritte Studierende das Studium mindestens einmal abbricht oder das Studienfach wechselt. Universitäten sind gefordert, derartigen Sinnkrisen vorzubeugen, indem sie den Studierenden den praktischen Mehrwert ihres Studiums vermitteln. Denn bisher sind Praxisseminare und berufsorientierte Module Mangelware. Dabei nutzt es einem angehenden Betriebswirt mehr, selbstständig einen Businessplan zu entwerfen, anstatt den Großteil des Studiums damit zu verbringen, Theorien zum Rechnungswesen oder Organsationsstrukturen zu pauken.

Passend dazu äußerte kürzlich knapp die Hälfte aller Studierenden bei einer bundesweiten Umfrage den Wunsch nach mehr Praxis im Studium. Schließlich wird nur ein geringer Anteil der Studierenden später im Bereich der Forschung arbeiten – von daher nehmen diese Inhalte in forschungsorientierten Studiengängen zu viel Raum ein.

Wer einen Einblick in potenzielle Tätigkeitsfelder gewinnt, kann eindeutig besser beurteilen, ob er die richtige Studienwahl getroffen hat. Und Studierende könnten endlich sehen, wofür sie sich tagtäglich quälen.

Contra, von Corinna Segelken

Im Studium schon alles für den Beruf lernen? Klingt vielversprechend. Doch ist ein praxisorientiertes Studium wirklich die bessere Berufvorbereitung? Nein, denn wer sich schon an der Uni auf die Praxis fokussiert, der f ährt sich auf ein Thema fest und verbaut sich seine breit gefächerten Optionen.

Ein forschungsorientiertes Studium bereitet ebenfalls auf den Berufsalltag vor – nur liegt das nicht immer sofort auf der Hand. Klar, das Hauptwerk von Geoffrey Chaucer oder die Öffentlichkeitstheorie von Jürgen Habermas haben mit der Arbeitswelt erst einmal sehr wenig zu tun. Doch wer es schafft, aus einem Gewirr von Theorien eine zentrale These herauszuarbeiten, beweist einen Blick für das Wesentliche. Im stressigen Berufsalltag kann das von Vorteil sein.

Eine wissenschaftliche Herangehensweise stellt also wichtige Soft Skills bereit. Der praktische Arbeitsalltag hingegen lässt sich in Seminaren schlecht simulieren, da viele Herausforderungen sich erst in der Praxis ergeben. So kann man zum Beispiel unmöglich eine universelle Anleitung für den Umgang mit einer Krisensituation aufstellen. Theorien hingegen können das nötige Rüstzeug liefern, um mit Problemen umzugehen.

Grundsätzlich sollte daher gelten: Erst Theorie, dann Praxis. Denn wer mit der Praxis anfängt, wird sich wohl kaum noch mit anderen Disziplinen auseinandersetzen. Ein forschungsorientiertes Studium dagegen fördert die kritische Reflexion und hilft außerdem, die Entscheidung bei der Berufswahl überlegter zu treffen.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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