Dahlem Dystopia

Stell dir vor, du sitzt in der Bibliothek und die Welt geht unter. Der Kampf ums Überleben beginnt. Doch was nützen dir die gesammelten Werke von Foucault jetzt noch? Höchstens für ein Feuer. Willkommen in der Post-Apokalypse! Von Lucian Bumeder

Hurra, die Welt geht unter. Illu: Die Greta

Hurra, die Welt geht unter. Illu: Die Greta

Tag 1

Die blühenden Kastanienbäume und ihre saftig grünen Blätter, die einst vor dem OSI Schatten spendeten, sind nicht mehr. Stumpfe schwarze Pfähle ragen an ihrer statt empor. Die Sonne prallt grell vom seltsam verschleierten Himmel und taucht die einst so vertraute Umgebung in ein hässliches Orange. Das Gras hat mit seiner Farbe auch all sein Leben verloren. Geblieben sind ein paar vereinzelte graue Halme, die bei der kleinsten Berührung zu Asche zerfallen.

Tag 2

Wir haben uns im offenen Magazin der Garystraße verbarrikadiert. Dass hinter dessen Betonmauern und massiven Stahltüren der sicherste Ort der Uni liegt, um eventuelle Katastrophen zu überleben, kam mir schon öfter in den Sinn. Aber nicht, dass es tatsächlich mal soweit kommen würde. Hier gibt es Schatten und Schutz. Und ein bisschen Trost: Man sieht nicht, was draußen geschieht.

Tag 3

Gut, dass wir gebildete Menschen sind. »The Walking Dead«, »The Day After Tomorrow«, »Mad Max« – mit der Apokalypse kennen wir uns bestens aus. Aus diesen Katastrophenszenarien wissen wir: Grundversorgung ist das wichtigste. Wenigstens gibt es noch Wasser – wenn auch dreckig und warm. Wir sind nicht sicher, ob es überhaupt trinkbar ist, aber was bleibt uns anderes übrig? Wir schütten Kaffee hinterher und hoffen, dass er desinfiziert. Davon ist noch genug da – den kaffeesüchtigen Bibliothekarinnen sei Dank. Auch der Strom funktioniert noch. Das macht Hoffnung, dass draußen noch jemand ist, dem es gelingt, das Stromnetz aufrecht zu erhalten. Das Internet hingegen ist genauso tot wie sämtlicher Mobilfunk.

Tag 4

Eine kleine Gruppe begibt sich auf die Suche nach Nahrung. Tische über den Köpfen tragend, schützen sie sich vor der Sonne und hoffen, bis zur Veggie-Mensa vorzudringen. Sie sehen aus wie kleine Schildkröten. Als sie wohlbehalten zurückkommen, ist der Jubel groß. Doch schnell wird die Freude getrübt, als sie über die Essensreste aufklären, die sie gefunden haben. Nudeln mit Getreidebolognese konnten wir schon nicht mehr sehen, bevor die Welt unterging.

Tag 5

Alle Autos, die auf der Straße geparkt haben, sind zur Unkenntlichkeit zusammengeschmolzen. Wenigstens die sozialen Unterschiede scheinen nach dem Untergang der Welt endlich ausgeglichen: Der BMW des Präsidiums hat sich ebenso zu einem traurigen Metallklumpen verwandelt wie mein alter VW.

Tag 6

Fragen werden laut, Diskussionen kommen auf. Alles, ohne genau zu wissen, was überhaupt passiert ist. Immerhin, damit kennen wir uns aus: Argumente und Theorien mit gesundem Halbwissen vertreten. Besser, als ums Überleben zu kämpfen. Die Debatten drehen sich irgendwann im Kreis. Und immer wieder Getreidebolognese. Ich weiß nicht, wie lange ich das hier noch aushalte.

Tag 7

Wir wollen versuchen, uns zum Hauptgebäude durchzuschlagen. Die glorreiche Laube ist unser Silberstreif am Horizont. Die Kühlräume der großen Mensa versprechen neue Nahrung, die Vielzahl von Cafés mehr Kaffee und vielleicht sogar einen Kicker, der Abwechslung beschert. Dass es in unser preisgekröntes Gehirn hineinregnet, stört jetzt nicht mehr. Gerüchte machen die Runde, es solle sogar eine Dusche in der Uni geben. Doch bald wird der Wahnsinn um sich greifen. Immer hungrig sein, immer wieder dieselben Diskussionen führen, den ganzen Tag in einer Bibliothek hocken: Das macht die Leute verrückt.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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