Ins Netz gegangen

Eigentlich sollte eine Universität ein toleranter Ort sein, frei von Rassismus – sollte man meinen. Watchblogs wie “Uniwatch” zeichnen jedoch ein anderes Bild. Wir sind Vorfällen von Diskriminierung an der FU auf den Grund gegangen. Von Enno Eidens
Rassismus stinkt

Rassismus stinkt. Illustration: Julia Fabricius

Honglei referiert in ihrem Seminar zu mathematischer Visualisierung. Die 28-Jährige ist noch nicht lange in Deutschland. Erst für ihr Masterstudium kam die Chinesin an die FU. Im Kurs von Konrad Polthier soll sie einen Vortrag halten. Doch auf einmal unterbricht sie der Professor: „Er war ungeduldig und fragte, was ich noch vorzustellen hätte. Irgendwann hat er sich komplett abgewandt und mich gar nicht mehr beachtet“, erinnert sich Honglei. Hastig beendet sie ihr Referat.

Eine Nachbesprechung oder konstruktive Kritik des Dozenten bleiben aus. „Nach dem Kurs habe ich ihn direkt angesprochen. Er lehnte ein Gespräch ab und blieb dabei nicht einmal stehen.“ Sogar bis zu seinem Büro sei sie ihm gefolgt – Polthier habe sie ignoriert. Zwei weitere chinesische Studentinnen berichten Honglei von ähnlichen Vorf ällen mit Polthier. Kommilitonen aus dem Kurs hingegen behaupten, er habe sich das ganze Seminar über schon recht unfreundlich allen Studierenden gegenüber verhalten. Und Hongleis Präsentation sei schlichtweg nicht gut gewesen.

Lag es an Hongleis Herkunft oder an ihrer Leistung im Kurs, dass ihr Vortrag unterbrochen wurde? Das bleibt unklar, verdeutlicht aber, wie vertrackt das Thema Rassismus an der Uni sein kann. Ihn zu erkennen ist schwierig, ihn zu benennen einfach und ihn zu beweisen oft unmöglich. Auch, weil er viele Formen annehmen kann: Ein Dozent, der Studentinnen mit Kopftuch konsequent übersieht. Oder eine Vorlesung über Kolonialisierung, die sich nur aus Texten von weißen europäischen Gelehrten speist.

Dass Rassismus an deutschen Hochschulen existiert, belegt eine Umfrage des Asta der Universität Köln. Ein Großteil der Studierenden distanzierte sich zwar von Rassismus, dennoch stimmten 36 Prozent der Aussage „Slawinnen sind leicht zu haben“ zu. Mehr als die Hälfte gab an, dass es seit den Ereignissen am Kölner Hauptbahnhof mehr antimuslimische Ressentiments auf dem Campus gebe.

Doch konkrete rassistische Vorf älle zu dokumentieren, ist schwierig. Meist wird nur eine Sicht auf die Geschehnisse publik, oft gar keine. Sogenannte „Watchblogs“ wollen da Abhilfe schaffen. Ein prominentes Beispiel dafür ist „Münkler-Watch“. Das Blog machte es sich im vergangenen Jahr zur Aufgabe, die Vorlesungen des deutschlandweit bekannten Politologen Herfried Münkler kritisch zu kommentieren. Dabei wurden Münkler nicht nur Rassismus, Sexismus und Militarismus vorgeworfen – sondern auch, er nutze seine Macht als Dozent, um die Diskussion zu unterdrücken. Münkler bekundete öffentlich, er fühle sich ungerecht behandelt. Zu einer Einigung kam es nicht.

Auch die FU haben die Watchblogs im Blick. Der Arbeitskreis „UniWatch“ etwa berichtet im Netz über einen Fall vom vergangenen November, bei dem einem Dozenten rassistische Äußerungen vorgeworfen wurden: Einem Studierenden zufolge, der anonym bleibt, habe der Professor in einer Vorlesung das N-Wort genutzt, um eine Sprache zu benennen. Die darauffolgende Debatte habe er abgewürgt, stattdessen den Beitragsschreiber als “Sprachstasi” bezeichnet. Sein Versprechen, die Beschwerde am Beginn der kommenden Sitzung zu besprechen, habe er kurzfristig revidiert. Das Blog nennt weder den Namen des Autors noch den des Dozenten. Doch der Dozent Uli Reich bestätigt, dass diese Auseinandersetzung in seiner Einführungsvorlesung für Sprachwissenschaft stattgefunden habe.

Der Romanistik-Professor weist jegliche Schuld von sich, spricht von „übler Nachrede“. Die Darstellung von „UniWatch“ sei völlig falsch und ignoriere das Thema der Veranstaltung: In der betroffenen Sitzung sei es um eine Kreolsprache gegangen – deren Name nun einmal das Wort beinhalte. Seines Wissens gebe es dafür keinen anderen Namen. Er selbst habe das N-Wort auch nicht gebraucht, sondern lediglich eine Tabelle aus der Fachliteratur vorgelegt, in der es vorkam. Außerdem habe er das Wort nicht unkommentiert genutzt. „Ich wollte darauf hinweisen, dass es in anderen historischen Kontexten, in denen es zu diesen Worten einfach keine Alternative gab, durchaus auch antirassistisch verwendet werden konnte.“ Er habe davon abgesehen, das Thema in einer weiteren Vorlesung aufzurollen, weil ihm „und übrigens auch der überwältigenden Mehrheit der Studierenden die ganze Sache zu abstrus war.“ Ein Rassist sei er natürlich nicht.

Björn hat den Vorfall miterlebt: „Reich schien sich direkt angegriffen zu fühlen, hat die Unterstellungen sehr schnell und sehr schroff von sich gewiesen“, erinnert er sich. Der 19-jährige Student findet es schade, dass man an der Uni heutzutage kaum noch diskutieren könne. „Vor allem als Mensch mit weißer Hautfarbe sollte man über die negative Konnotation dieser Worte und deren Auswirkungen sprechen. Reich hat sich dieser Reflektion verweigert“, meint Björn.

Dass man an der Uni über Rassismus spricht, ist jedoch unumgänglich. Wenn im akademischen Zentrum unserer Gesellschaft kein Platz für wichtige Debatten ist, wo soll man sie dann führen? Watchblogs mögen zwar dafür sorgen, dass vermeintliche Fälle von Rassismus publik werden. Mit bloßer anonymer Dokumentation lässt sich noch längst keine Debatte führen.

Honglei ist sich sicher: Sie wurde von Konrad Polthier diskriminierend behandelt. „Ich behaupte ja nicht, dass meine Arbeit einwandfrei war.“ Doch gerade deshalb hätte sie gerne von Polthier konstruktive Kritik erhalten. Die habe er ihr aber verweigert: „Selbst wenn ich noch mehr Arbeit reingesteckt hätte – seine Vorurteile hätte ich damit auch nicht aus dem Weg schaffen können.“

Polthier möchte sich nicht zu den Anschuldigungen äußern, sondern verweist auf die Pressestelle der FU. Diese gibt an, dass Polthier direkt nach dem Seminar „terminlich eingebunden gewesen“ sei, Honglei aber keineswegs ignoriert habe. Außerdem entbehre der Vorwurf der „Diskriminierung aus Gründen von Geschlecht oder Herkunft jedweder Grundlage“. Es habe in Folge der Anschuldigungen ein Gespräch mit der zuständigen Frauenbeauftragten stattgefunden. Das FU-Institut für Mathematik habe darüber hinaus ein klärendes Gespräch angeboten.

Ob Diskriminierung oder bloße Unfreundlichkeit – abschließend klären lässt sich das nicht. Es steht Aussage gegen Aussage. Die überlegene Stellung der Universität schwächt dabei die Position der Betroffenen und derer, die sich um Auf klärung bemühen. Die wichtige Debatte über Rassismus kann jedoch nur vorankommen, wenn sie öffentlich und ohne Hierarchie geführt wird. Dazu braucht es Dozierende, die sich offen auf Gespräche einlassen. Und Studierende, die bereit sind, die Gegenseite anzuhören.

Wenn Du von Diskriminierung betroffen bist, kannst Du dich an das Dekanat deines Fachbereichs, die Sozialberatung (sozialb.thielallee@studentenwerk-berlin.de) oder die Beratung des AStA (www.astafu.de/beratungen) wenden.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. FURIOS: Richtigstellung sagt:

    In der 16. Ausgabe des Campusmagazins FURIOS haben wir im Sommer 2016 auf Seite 20 den Text “Ins Netz gegangen” veröffentlicht. Dort zitiert der Autor unter anderem Aussagen der Studentin Honglei. Diese Aussagen wurden von ihr nicht autorisiert, wofür der Autor die volle Verantwortung übernimmt. Er stellt daher Folgendes richtig:

    Im ersten Absatz schreibe ich “Honglei referiert in ihrem Seminar zu mathematischer Visualisierung.” Hierzu stellt Honglei richtig, dass es sich nicht um ein Seminar, sondern ein Basismodul handelte.

    Einen Absatz später schreibe ich, dass Honglei von ihrem Dozenten Konrad Polthier ignoriert worden sei. Hierzu stellt Honglei richtig, dass sie von Polthier nicht die ganze, sondern nur die meiste Zeit ignoriert worden ist. Polthier hat sich ihr gegenüber zweimal kurz geäußert, sie aber nicht komplett ignoriert.

    Im vorletzten Abschnitt des Texts schreibe ich, dass Honglei sich sicher sei, von Polthier diskriminierend behandelt worden zu sein. Hierzu stellt Honglei richtig, dass sie sich zwar unfair und ungleich, nicht aber exakt diskriminierend behandelt gefühlt hat.

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