Furios tanzt: Chanson und Champagner

Die Gegenwart vergessen und 90 Jahre in die Vergangenheit reisen. Das bietet die 20er-Jahre Party-Reihe Bohème Sauvage. Sarah Ashrafian hat ihre Jeans gegen ein Fransenkleid getauscht und sich auf Zeitreise begeben.

Foto: Anke Schlieker.

Eine Kamera gehört leider nicht zu einem authentischen Outfit der 20er Jahre. Foto: Anke Schlieker.

Jean-Paul Sartre sagte einmal: „Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese ist die unsere“. Aus Sartres Perspektive ist diese Aussage ja auch leicht zu machen. Schließlich hat er in einer der verzaubernsten Zeiten der Geschichte gelebt – den 1920ern. Die Party-Reihe Bohème Sauvage bietet die Möglichkeit für einen Abend in diese Welt der Fransenkleider, Federboas, Chansonsänger und Casinos abzutauchen.

150 Millionen Reichsmark für einen Absinth

Als sich die Tür hinter mir schließt, lasse ich 2016 vollkommen hinter mir. Zwar können die Gäste jede Figur verkörpern, die sie wollen – Gangster, Revuetänzerin oder ganz normalen Clubbesucher der 20er Jahre. Nur authentisch müssen sie sein, sonst kommt er oder sie auch nicht in den Ballsaal hinein. Die Musik ist dementsprechend originalgetreu. Sie wird jedoch von einem DJ aufgelegt. Über diese kleine Echtheits-Einbuße kann ich aber hinweg sehen. Kurz vor zwölf tauscht dieser seinen Platz mit einem Chansonsänger – natürlich live von einem Pianisten begleitet. Bei dieser kleinen Show-Einlage leert sich die Tanzfläche ein wenig, aber niemand ist genervt davon. Vielmehr bietet die Pause eine kurze Möglichkeit an der Bar zu verweilen und zuzuhören. Die Prohibition der 20er Jahre hat Bohème Sauvage natürlich ignoriert – nur die gesalzenen Preise der Drinks lassen darauf schließen.

Wem die Preise für die Drinks zu teuer sind, kann sein Glück im Casino-Bereich ausprobieren. Nachdem man am Anfang mehrere Millionen Reichsmark geschenkt bekommt – ja, auch die Inflation wurde bedacht –, kann man diese gegen Chips einlösen und spielen, was das Zeug hält. Ein Wert von 150 Millionen Reichsmark kann gegen Absinth eingetauscht werden.

Authentischer 20er-Jahre-Sexismus

Doch leider sind einige auch geistig in den 1920ern hängen geblieben. Das lässt zumindest ihr Frauenbild erahnen. Der Kartengeber am Black Jack Tisch scheint leider noch nie etwas von korrekten Umgangsformen gehört zu haben. Immer wieder lässt er einen frauenverachtenden Satz fallen, was aber Gott sei Dank bei den meisten Gästen eher auf Empörung als auf Beifall stößt. Und auch einen Tisch weiter will mich der Herr mit dem Monokel im Auge nicht in Ruhe lassen. Erst nachdem ich ihn vielfach darauf hingewiesen haben, dass ich auf den Champagner, den er mir ausgeben will, gerne verzichte, dampft er resigniert ab. Aber natürlich nicht ohne einen letzten Kommentar abzugeben: „Also so wären die Frauen in den 20ern nicht mit einem feinen Herren umgegangen.“ Absolut! Aber heute – 90 Jahre weiter – müssen wir uns sexistisch-aufdringliche Männer nicht mehr gefallen lassen.

Meiner Laune schadet dieser kleine Dämpfer nicht. Er kurbelt eher mein Selbstbewusstsein an: Ich setze am Roulette-Tisch all in – 90 Millionen Reichsmark. Nachdem ich die Höhen und Tiefen des Glücksspiels in mehreren Runden durchlaufen habe, verdoppele ich mein Guthaben. Leider ist der Abend an dieser Stelle schon so weit fortgeschritten, dass der Absinth mittlerweile umsonst ausgeschenkt wird. Das heißt wohl, dass ich meinen Gewinn beim nächsten Mal wieder mitbringe und dann einlöse. Denn auch wenn diese Zeit nicht die unsere ist, können wir sie uns doch hin und wieder mal ausleihen.

Die nächste Party der Bohème Sauvage steigt am 29.Oktober im Meistersaal. Der Eintritt kostet 22 Euro.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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