Familiäre Disharmonie

Xavier Dolan ist jünger als so manch ein Kommilitone. Ende Dezember kam sein bereits sechster Film „Einfach das Ende der Welt“ ins Kino. Ob sich der kalte Weg zum Kino lohnt? Von Evelyn Toma

Ein Besuch bei der Familie kann manchmal nervenraubend sein.

Ein Besuch bei der Familie kann manchmal mehr als nur anstrengend sein.

Ein Mann sitzt, die Kappe tief im Gesicht und sonnenbebrillt im Flugzeug. Er sieht nachdenklich aus, macht sich Sorgen. Draußen ist es Nacht, die Flugbegleiterin nervt, alles an dieser Reise ist unbehaglich für ihn. Vor allem das Reiseziel. Nach über 12 Jahren kehrt Louis (Gaspard Ulliel) in seine Heimat zurück, um seiner Familie seinen baldigen Tod mitzuteilen. Doch ab dem Zeitpunkt seiner Ankunft, hagelt es Vorwürfe, die enttäuschten Familienmitglieder fühlen sich zurückgelassen in ihrem öden Leben.

Französische Starbesetzung

Heißersehnt startete der neue Film des Cannes-Lieblings Xavier Dolan am 29. Dezember letzten Jahres in den deutschen Kinos. Der 26-jährige veröffentlichte mit „Einfach das Ende der Welt“ (ov: Juste la Fin du Monde) seinen bereits sechsten Kinofilm. Neben seinem jungen Alter ist es vor allem Dolans Ästhetik, die Zuschauende beeindruckt: viele Nahaufnahmen, sehr viel Zeitlupe, knallige Farben und poppige Soundtracks.

Diesmal lockt allerdings nicht nur der Name des Regisseurs die Menschen in die Kinos. „Einfach das Ende der Welt“ bietet seine bisher größte französische Starbesetzung. Léa Seydoux, Vincent Cassel, Marillon Cotillard, sie alle werden inzwischen weltweit gefeiert und immer öfter auch für Hollywoodproduktionen angeworben. Kurz gesagt: Die Erwartungen an Dolans neuen Film sind hoch.

Nicht ganz so stilsicher

Doch das gleichnamige Theaterstück von Jean-Luc Lagarce, das dem Film zugrunde liegt, ist sehr dialoglastig und lässt wenig Raum für Dolans sonst sehr bildhafte Erzählweise. Lediglich in kurzen Erinnerungen und Rückblenden der Hauptfigur scheint seine typische Mise en Scène durch, wenn seine Charaktere tanzen, rennen und knutschen, in Slowmotion und in warmes Licht getränkt, zu O-Zones furchtbarem Sommerhit „Dragostea din Tei“.

Vielmehr jedoch sieht man die Familie streiten, die Nahaufnahmen machen die Gespräche unerträglich intensiv, in manchen Szenen lässt sich eine tickende Uhr im Hintergrund kaum überhören. Diese Anspielung auf Louis wenige verbleibende Zeit, zieht die wortkarge Auseinandersetzung zwischen ihm und seiner Schwägerin Catherine (Marillon Cotillard) noch zusätzlich in die Länge. Cotillard spielt die Rolle der stotternden, eingeschüchterten Frau unwahrscheinlich gut, was die Figur nur umso nerviger macht.

Wie an Weihnachten Zuhause

Generell sind die Dialoge alle sehr abstrakt gehalten, zwischen den Zeilen schweben sehr bedeutungsschwanger die Gründe für Louis Abwendung von der Familie, werden aber nie ausgesprochen. Das macht die Gespräche zwischen den Agierenden schwierig. Für die Zuschauenden ist es kaum auszuhalten, denn niemand spricht wirklich aus, was er zu sagen hat, alles ist untergründig und sehr, sehr anstrengend.

Auf einer Metaebene ist der Film also auf alle Fälle gut gelungen: dieser Familienbesuch ist für die Zuschauenden genauso anstrengend, wie er für die Hauptfigur wohl sein muss. Und gerade nach Weihnachten bietet so ein disharmonisches Zusammenkommen sicher einiges an Identifikationspotenzial.

Wer sich einen typischen Xavier Dolan Film erhofft, ist auf jeden Fall nicht richtig am Ende der Welt aufgehoben. Wer ein Revival des letzten Familienstreits möchte und die Voyeurposition nicht scheut, darf sich gerne mit Popcorn ins Kino begeben.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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