Antisemitismus-Vorwürfe gegen FU-Dozentin

Antisemitismus-Vorwürfe gegen eine FU-Dozentin schlagen Wellen bis nach Jerusalem. Studenten protestieren, die Uni versagt der Beschuldigten weitere Lehraufträge. Sie selbst reagiert schockiert. Von Marius Mestermann

Der FU-Dozentin Eleonora Roldán Mendívil wird Antisemitismus vorgeworfen. Foto: Privat

Der Staat Israel und seine bewegte Geschichte sind immer wieder Gegenstand von heftigen Kontroversen. Vor wenigen Wochen erst löste der scheidende US-Präsident Barack Obama einen Sturm der Entrüstung aus, als sein Land auf ein Veto gegen die UN-Resolution zum israelischen Siedlungsbau verzichtete. Dieser Fall zeigt: Diskussionen um den Staat Israel eskalieren schnell, münden oft in Antisemitismusvorwürfe. Solchen Anschuldigungen sieht sich aktuell Eleonora Roldán Mendívil ausgesetzt.

Die Dozentin hat im laufenden Semester einen Lehrauftrag am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (OSI) inne. Ihr Proseminar „Rassismus im Kapitalismus“ dreht sich um Dinge wie antikoloniale Kämpfe und Werkzeuge zum Überkommen rassistischer Gewalt. Noch, muss man sagen. Denn es könnte ihr vorerst letzter Lehrauftrag am OSI sein.

Antisemitismus an der FU?

In einem Schreiben der Hochschulgruppe „Gegen jeden Antisemitismus an der Freien Universität“ an die leitenden Stellen von FU und OSI warfen Studenten der Dozentin „Ignoranz gegenüber historischen Tatsachen“ und einen „Hang zur antisemitischen Verschwörungstheorie“ vor. In Blogeinträgen und anderen Veröffentlichungen soll Roldán Mendívil antisemitische Positionen vertreten. Über die Kritik berichteten mehrere Berliner Medien und sogar eine Jerusalemer Zeitung.

Inzwischen hat die Geschäftsführung des OSI ein Untersuchungsverfahren gegen Roldán Mendívil eingeleitet, das „Vorwürfe einer israelfeindlichen oder gar antisemitischen Publikationspraxis“ prüfen soll. So formuliert es Bernd Ladwig, Professor für Politische Theorie und Philosophie, in einer öffentlichen Stellungnahme des Instituts. Als Experte wird der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin Wolfgang Benz fungieren. Er soll auf Grundlage von Blogeinträgen und anderen kleineren Schriftsachen Roldán Mendívils klären, inwieweit sie mit ihren Äußerungen antisemitische Stereotype bedient. Wann die Prüfung abgeschlossen sein wird, steht noch nicht fest.

Dozentin weist Vorwürfe zurück

In einem Schreiben an Bernd Ladwig verteidigt Roldán Mendívil ihren Blog. Sie erklärt, keiner der Posts beinhalte antijüdisch-rassistische Aussagen. Sondern: „Sie verdeutlichen eine Spannung innerhalb der deutschsprachigen Linken zw. Israel-solidarischen und Israel-kritischen Positionen.“ Die aktuelle Situation sei im Sinne freier Forschung und Lehre sehr beunruhigend. „Persönlich treffen mich die Vorwürfe als langjährige politische Jugendbildnerin zu Themen wie Antifaschismus, Antirassismus und Antisexismus auch sehr“, so Roldán Mendívil.

Aus einer weiteren Nachricht von der Dozentin an eine Mitarbeiterin des OSI geht hervor, dass sie in den Vorwürfen den Versuch sieht, kritische Lehre zu Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismuskritik am OSI aus der Anonymität des Internets anzugreifen. „Erschreckend ist für mich nicht nur die Diffamierung des gesamten Seminars, sondern auch der Aufruf, an das Institut heranzutreten, um mich als Person zu diffamieren und schlussendlich dazu beizutragen, dass das Institut von einer Zusammenarbeit mit mir als Lehrbeauftragte Abstand nimmt.“

Vorerst kein weiterer Lehrauftrag

Im kommenden Semester soll Roldán Mendívil dennoch keinen Lehrauftrag bekommen. „Das liegt schon einfach daran, dass die Prüfung der Vorwürfe nicht abgeschlossen sein wird, bis wir die Vergabe der Lehraufträge endgültig beschließen“, erklärt Bernd Ladwig auf Nachfrage. Wie es für Roldán Mendívil dann weitergeht, bleibt vorerst offen. Die Professorenschaft zieht trotzdem schon eine Konsequenz: Künftig wird als Mindestvoraussetzung für Lehraufträge ein Masterabschluss verlangt – den hat Roldán Mendívil noch nicht.

Teilnehmer ihres Seminar verurteilen unterdessen das Verhalten des Instituts und widersprechen zugleich den Antisemitismus-Vorwürfen in einem offenen Brief: „Die politische Positionierung Roldán Mendívils schätzen wir anhand ihrer Aussagen im Seminar als reflektiert und herrschaftskritisch gegenüber jeglicher Formen des Rassismus ein.“ Die Antisemitismusvorwürfe beziehen sich jedoch bislang ausschließlich auf Äußerungen außerhalb der Lehrveranstaltung, wie Bernd Ladwig bekräftigt. Und: „Es ist eine Prüfung, keine Vorverurteilung“, sagt er. Anders sehen das über 1.400 Unterzeichner einer Online-Petition, die sich mit Roldán Mendívil solidarisieren und gegen ihre Vorverurteilung aussprechen.

Chronik der Ereignisse: Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Eleonora Roldán Mendívil haben eine lange Vorgeschichte. Es gibt Blogeinträge, offene Briefe, Emails und Berichte in Zeitungen. Marius Mestermann hat sie recherchiert und in einer Chronik zusammengefasst.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. jüdisch-bolschwestische Weltverschwörung sagt:

    Dieser Auszug aus der Stellungnahme der Gruppe “Gegen Jeden Antisemitismus an der FU”vom 13.01 ist sicher eine gute Ergänzung zu diesem Artikel!

    “Wir kritisieren Roldan Mendivil für Aussagen und Handlungen, die explizit Israel das Existenzrecht absprechen. Eine solche Position ist nach gegenwärtigem sozialwissenschaftlichen „Minimalkonsens“ (Salzborn: 5) antisemitisch:
    „Als Kernbestandteile eines antizionistischen Antisemitismus werden in der Arbeitsdefinition der Europäischen Union genannt:

    1. Das Abstreiten des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.“ (Salzborn: 6).

    Die Gruppe „Gegen jeden Antisemitismus“ hat am Mittwoch das Gespräch mit der Dozentin gesucht. Während dieser Diskussion bestätigte sie ihre Haltung und Wortwahl in Bezug auf Israel: Es handele sich um einen Kolonial- und Apartheidstaat, es finde ein Genozid statt und BDS sei eine gute Möglichkeit, das Existenzrecht Israels praktisch abzulehnen.

    In einer Welt, die aus Staaten besteht und in der weltweit Jüdinnen und Juden durch Antisemitismus bedroht werden, ausgerechnet dem einzigen jüdischen Staat die Existenz abzusprechen, halten wir für antisemitisch.
    Es ist unhaltbar, dass gerade deutschen Studierende mit einer wahnhaften Verbissenheit den Staat angreifen, der Überlebenden und Nachkommen der deutschen Judenvernichtung einen Schutzraum bietet.
    Wer öffentlich eine „Intifada“ fordert [4], legitimiert nichts anderes als gewalttätige Angriffe auf diesen Schutzraum. Darüber hinaus ist es uns schleierhaft, wieso es eine linke Position sein soll, ständig den einzigen Staat in der ganzen Region anzugreifen, in dem die Einwohnerinnen und Einwohner die Möglichkeit haben sich an demokratischen Wahlen zu beteiligen, Männer und Frauen die gleichen Rechte haben und Homosexuelle nicht vom Staat verfolgt werden.

    Die beiden Texte, die vom Referat für Antifaschismus gepostet wurden, können wir allen Personen zur Lektüre empfehlen, die sich mehr mit dem Thema beschäftigen möchten:
    https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/aas-israelfeindschaft.pdf
    http://www.salzborn.de/txt/2013_Kirche-und-Israel.pdf

    „Dass in der öffentlichen Debatte oft Verwirrung über die Differenz zwischen Kritik und Ressentiment herrscht, hat nichts mit der Sache, dafür aber alles mit den Akteuren zu tun – und ihrer Unwilligkeit oder Unfähigkeit, mit Blick auf das Thema Antisemitismus im Kontext des Nahost-Konfliktes Fakten von Meinungen zu unterscheiden. Der Ausgangspunkt aller Diskussionen kann doch nur sein: Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten, die seit ihrer Gründung ununterbrochen angegriffen wird und sich gegen diese Angriffe verteidigt – wie jede andere Demokratie dies auch tut oder tun würde. Wer hinter diesen basalen und banalen Anspruch zurückfällt, hat wesentliche Grundlagen einer Kritikfähigkeit bereits verspielt und agiert auf Basis eines mythologischen oder instrumentellen Weltbildes. Dass man von diesem axiomatischen Ausgangspunkt jede einzelne Aktion der israelischen Politik kritisieren kann, ohne antisemitisch zu sein, werden die Antisemiten jedoch ebenso wenig zu verstehen in der Lage sein, wie es für diejenigen, die sich intensiv mit dem Thema befasst haben, sowieso selbstverständlich ist“ (Salzborn: 10).”

    [1] http://fsiosi.blogsport.de/2015/05/26/stellungnahme-zur-veranstaltung-mit-andreas-schlueter/
    [2] https://www.facebook.com/notes/gegen-jeden-antisemitismus-fu-berlin/schreiben-an-das-präsidium-der-fu/610365752482738
    [3] https://boasinfo.wordpress.com/2016/12/25/israelhetze-mit-lehrauftrag-an-berliner-uni/
    [4] https://www.facebook.com/friedensdemowatch/videos/1229481440439443/

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