Debatte um Antisemitismus-Vorwürfe

Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Eleonora Roldán Mendívil haben eine lange Vorgeschichte. Es gibt Blogeinträge, offene Briefe, Emails und Berichte in Zeitungen. Marius Mestermann hat sie recherchiert und in einer Chronik zusammengefasst.

Von Roldán Mendívils umstrittenen Blog ist nur noch diese knappe Rechtfertigung übrig. Foto: Marius Mestermann

März 2014
Auf ihrem privaten Blog veröffentlicht Roldán Mendívil einen Eintrag mit dem Titel „Und immer wieder die Anti-Deutschen…“. Darin bezeichnet sie unter anderem den Zionismus als „Ashkenazim Kolonialprojekt“. Damit sind europäische Juden gemeint, die insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust nach Palästina auswanderten, um dort einen jüdischen Staat zu gründen. Bezug nimmt die FU-Dozentin dabei auf die umstrittene antiisraelische Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS), die oft als rassistisch und antisemitisch eingeordnet wird.

März 2015
In einem weiteren Blogeintrag schildert Roldán Mendívil einen Vorfall, in dessen Verlauf sie die Worte „Israel ist ein Kolonialstaat. Und Punkt“ sagte. Nach eigenen Angaben verteidigte sie damit einen Mann mit Palästinaflagge bei einer antirassistischen Demonstration. Im abschließenden Teil des Texts prangert sie die nach ihrer Einschätzung „unhaltbare und selbst nach bürgerlichem Internationalem Recht zich Mal illegale, imperialistische und rassistische Situation in Palästina“ an.

Oktober 2015
Ein Musikvideo zeigt Roldán Mendívil an der Seite der Rapper Thawra und Kaveh. Das Lied mit dem Namen „Antideutsche/Tahya Falastin“ enthält propalästinensische und antiisraelische Passagen, bei denen Roldán Mendívil eindeutig mitsingt: „Kein Frieden mit dem Besatzungsregime“, „Keine Angst, die Hamas hasse ich sehr/Nur Antideutsche hass ich noch mehr“ oder „Die jüdische Verschwörung ist ne Lüge, mancher fällt drauf rein/Aber wenn du wirklich Juden hasst, du feiges Schwein/Könn wir nur Feinde sein, dann komm heraus und kämpf allein.“ Beim Satz „Boykott Israel!“ überkreuzt sie mit anderen Darstellern des Videos demonstrativ die Arme.

Herbst 2016
Das Proseminar von Eleonora Roldán Mendívil startet im Wintersemester 2016/17.

25. Dezember 2016
Ein proisraelischer Blog namens „facts, info, opinion by Boas“ veröffentlicht einen Eintrag mit dem Titel „Israelhetze mit Lehrauftrag an Berliner Uni?“. Es ist wohl der Stein, der die Antisemitismusvorwürfe gegen Roldán Mendívil ins Rollen bringt. Der Autor zitiert aus ihrem Blog und zählt weitere Quellen auf, die er für Hinweise auf eine antisemitische Einstellung Roldán Mendívils hält. Abschließend stellt er die Frage, „warum eine solche Person, die mit radikal antisemitischem Engagement offen in Erscheinung tritt, einen Lehrauftrag am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin erhält.“

05. Januar 2017
Die Hochschulgruppe „Gegen jeden Antisemitismus an der Freien Universität“ richtet sich mit einem Brief an das Präsidium der FU und die Geschäftsführung des OSI. Darin heißt es unter anderem: „Durch ihre öffentlichen Äußerungen verbindet Frau Roldán Mendivíl […] die theoretische Delegitimierung der Existenz Israels mit der Erklärung, solidarisch an der Seite derer zu stehen, die diesen Staat und seine Bürger*innen praktisch isolieren und gewalttätig attackieren. Wir bitten Sie zu prüfen, inwiefern sich die geschilderten, öffentlich geäußerten Positionierungen mit einer Lehrtätigkeit an der Freien Universität Berlin vereinbaren lassen.“ Am 10. Januar veröffentlicht die Hochschulgruppe Auszüge aus dem Brief auf ihrer Facebook-Seite.

06. Januar 2017
Die in Berlin ansässige Monatszeitung „Jüdische Rundschau“ veröffentlicht den Text von „facts, info, opinion by Boas“ im Wortlaut. Der Beitrag erscheint in der Printausgabe und im Netz, wo er laut Statistik der „Jüdischen Rundschau“ bislang über 4.200-mal gelesen wurde.

10. Januar 2017
Am 10. Januar überschlagen sich die Ereignisse. Zunächst kündigt OSI-Professor Bernd Ladwig in einer Stellungnahme im Namen der Geschäftsführung des Instituts eine Prüfung der Vorwürfe gegen Roldán Mendívil an: „Personen, die außerhalb ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit, etwa durch Äußerungen in öffentlich zugänglichen Blogs, gegen solche Tugenden eklatant verstoßen, wecken darum begründete Zweifel an ihrer Eignung zur Leitung wissenschaftlicher Lehrveranstaltungen“, schreibt Ladwig.

Kurze Zeit später berichtet die israelische „Jerusalem Post“ etwas unpräzise, dass die FU eine „Pro-BDS-Professorin“ suspendiert habe, obwohl das Seminar Roldán Mendívils weiterhin stattfindet. Weiter zitiert die Zeitung den Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem Efraim Zuroff. Zuroff nennt Roldán Mendívil „offensichtlich antisemitisch“ und bedauert, dass jemand „mit derart starken antisemitischen Ansichten diese im deutschen Bildungssystem verbreiten darf.“ Mit der Beschuldigten sprachen jedoch weder die „Jerusalem Post“ noch die „Jüdische Rundschau“.

FURIOS liegen E-Mails von Roldán Mendívil vor, die diese am 10. Januar an ihre Kursteilnehmer schickte. An ihre Studenten gerichtet schreibt die Dozentin, sie sei „überwältigt“ und „erschrocken“ von den Vorwürfen und der Reaktion des OSI. Sie weise „alle Vorwürfe in diesem Seminar, in meiner wissenschaftlichen Arbeit oder sonst wie im öffentlichen oder privatem Raum antijüdisch-rassistische Positionen zu vertreten oder zu verbreiten, zurück“. In einem Schreiben an Bernd Ladwig verteidigt sie ihren Blog und erklärt, keiner der Posts beinhalte antijüdisch-rassistische Aussagen. In einer weiteren Nachricht von Roldán Mendívil an eine Mitarbeiterin des OSI, erklärt sie, dass sie in den Vorwürfen und dem Untersuchungsverfahren den Versuch sieht, kritische Lehre zu Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismuskritik am OSI aus der Anonymität des Internets anzugreifen.

14. Januar 2017
Wenige Tage, nachdem sie die Debatte losgetreten hat, äußert sich die Hochschulgruppe „Gegen jeden Antisemitismus FU Berlin“ erneut öffentlich. Sie weist ihrerseits Vorwürfe zurück, Teil einer rechten oder rassistischen Hetzkampagne gegen Roldán Mendívil zu sein. Man habe im Brief an die OSI-Leitung lediglich „öffentliche Aussagen der Dozentin wiederholt und auf Verbindungen zu Personen und Gruppen hingewiesen“, heißt es in der Stellungnahme. „Der Skandal ist der Israelhass einer Dozentin und nicht, dass eine Gruppe darauf aufmerksam macht.“ Gleichzeitig wird der Vorwurf untermauert, Roldán Mendívil stelle das Existenzrecht Israels infrage. Dies habe sich im persönlichen Gespräch mit der Dozentin bestätigt.

15. Januar 2017
Eleonora Roldán Mendívil deaktiviert alle Einträge auf ihrem Blog „Cosas que no se rompen“. Übrig bleibt nur eine Erklärung auf Englisch, in der die Dozentin auf die Debatte um ihre Person verweist: „Aufgrund von Angriffen, die sich auf Posts in diesem Blog bezogen, sehe ich mich gezwungen, den Blog aus Gründen des Selbstschutzes zu deaktivieren.“ Ihre Perspektive habe sich im vergangenen Jahr von einer aktivistischen zu einer kritisch-akademischen gewandelt. Den Blog wolle sie daher nicht wieder aktivieren.

11. – 19. Januar 2017
Mehrere Berliner Medien greifen die Antisemitismus-Vorwürfe auf: Die Berliner Zeitung, rbb24, der Tagesspiegel und zuletzt auch die taz. Dem Portal Die Freiheitsliebe gibt Roldán Mendívil ein ausführliches Interview.

Es wird eine Online-Petition gestartet, die sich gegen eine „Vorverurteilung der Lehrbeauftragten E. Roldán Mendívil“ ausspricht. Über 1.400 Personen haben diese bereits unterzeichnet.

Einige Teilnehmer von Roldán Mendívils Seminar solidarisieren sich zudem in einem offenen Brief ans OSI mit ihrer Dozentin. Dem Blogautor, der die Debatte in Gang brachte, werfen sie unwissenschaftliche Verleumdung vor. Zugleich fordern die Studenten das OSI auf, ihrer Dozentin keine Lehraufträge vorzuenthalten.

Die Chronik wurde bereits in Verbindung mit dem Bericht “Antisemitismus-Vorwürfe gegen FU-Dozentin” veröffentlicht. Inzwischen wurde sie um zwei Einträge für den 14. und 15. Januar erweitert.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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1 Response

  1. besorgter Studierender sagt:

    in der Timeline fehlt die Intervention der Gruppe “Gegen Jeden Antisemitismus an der FU” am 11. Januar in dem Seminar Roldan Mendívils. Bei der anschließenden Diskussion bestätigte die Dozentin mehrere der Vorwürfe:

    – BDS: sei nicht unbedingt eine antisemitische Bewegung, sie sehe keine Notwendigkeit sich von dieser (von bspw. der CDU als antisemitische uniantidemokratische Bewegung) zu distanzieren
    – Israel sei ein Apartheidsstaat und Besatzungsregime: eine Distanzierung sei nicht weiter nötig.
    – Existenzrecht Israels ist abzulehnen
    – Terror gegen Israel sei legitime antikoloniale Gewalt (vgl. Südafrika, Lateinamerika etc.)

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