Nebenjob Versuchskaninchen

Fragebögen ausfüllen statt Essen servieren – lässt sich mit der Teilnahme an Experimenten ein Nebenjob ersetzen? Und wie aufwendig ist es? Rebecca Stegmann hat den Selbstversuch gemacht.

ProbandInnen gesucht - solche Zettel finden sich zu Haufe am schwarzen Brett Fotos: Rebecca Stegmann

Es gibt viele solcher Zettel am schwarzen Brett. Foto: Rebecca Stegmann

Auf dem Weg zur Mensa bleibt mein Blick am schwarzen Brett hängen: Probanden Gesucht! 50 Euro soll es für ein Experiment geben, durch das man einen Zustand tiefer Entspannung erreichen kann. Das klingt nach leicht verdientem Geld. Ich komme ins Grübeln: Könnte ich als Probandin passiv rumsitzen, statt im Restaurant Teller zu schleppen? Wenn ich mir das schwarze Brett so anschaue, scheint der Nachschub an immer neuen, interessanten Experimenten nicht zu versiegen.

Die Vorstellung ist verlockend. Ich habe allerdings schon einmal vor einem Jahr an einer Studie teilgenommen, die mich eher abschreckte. Damals musste ich vor drei sehr ernsten Medizinstudenten Matheaufgaben lösen und dann die brutale Vergewaltigungsszene aus dem Film „Irreversibel“ anschauen. Hinterher sollte ich ein Erinnerungstagebuch führen. Für etwa vier Stunden Aufwand gab es nur 35 Euro – und an den Film erinnere ich mich noch heute.

Trotzdem mache ich mich auf den Weg zu meinem ersten Termin bei dem Entspannungs-Experiment. Insgesamt muss ich viermal in das Zentrum für Kognitive Neurowissenschaften in der Rost- und Silberlaube. Vor Ort kriege ich halbierte Tischtennisbälle mit Tesafilm auf die Augen geklebt, obendrauf kommt eine Art Skibrille in die Lichtpunkte gebaut wurden. Dazu höre ich über Kopfhörer weißes Rauschen. Diese Bedingungen werden „Ganzfeld“ genannt. Bei manchen Menschen führen sie zu Illusionen, sie sehen Bilder und hören Stimmen. Ich finde es anstrengend die Augen offen zu halten und fühle mich eher ängstlich und isoliert als entspannt. Hinterher muss ich in Fragebögen unter anderem angeben, ob ich das Gefühl hatte, eins mit der Welt zu sein.

Großer Aufwand, kleine Entschädigung

Bei der dritten Sitzung wird ein EEG gemacht, das heißt die Medizinstudentinnen kleben mir Dutzende Elektroden auf den Kopf. Dann bekomme ich wieder die Brille und Kopfhörer auf. Hinterher höre ich zum Vergleich nur das Rauschen und schaue dazu „Shaun das Schaf“. Da jede Bewegung die Messung verzerrt, beiße ich mir die Lippen kaputt, um nicht laut zu lachen. Mein letzter Termin ist nicht viel entspannter: ich muss in das MRT-Gerät. Während ich in der engen Röhre liege und um mich herum alles ohrenbetäubend piepst und surrt, wünsche ich mir einfach nur, stattdessen ein paar Teller tragen zu dürfen. Immerhin kriege ich demnächst per Email Bilder von meinem Gehirn zugeschickt.

Reich werde ich als Probandin so nicht. Bei sechs Stunden Aufwand bekomme ich gerade mal 50 Euro – das ist weniger als der Mindestlohn. Deshalb suche ich nach lukrativeren Studien. Ein Kommilitone erzählt mir, dass er mit einer Medikamentenstudie der Charité 1200 Euro in drei Tagen verdient habe. Er nahm im Krankenhaus Diabetesmedikamente und musste sich hinterher über ein dutzend Mal übergeben. Ich frage mich, ob es das Geld wert ist.

Gut bezahlte Studien ohne Nebenwirkungen sind unter Studierenden sehr gefragt. Auf einige Anfragen bekomme ich die Antwort, dass keine Teilnehmenden meines Alters mehr gesucht werden. Für mich ist das Versuchskaninchen Dasein keine echte Alternative zum Nebenjob. Eine Stelle als Kellnerin oder studentische Hilfskraft wird bei weniger Aufwand meist besser bezahlt – und Nebenwirkungen gibt es auch keine.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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