In einer modernen Inszenierung von „Petruschka/ L’Enfant et les Sortilèges“ lässt das Künstlerkollektiv „1927“ die Grenzen zwischen Operngesang und Zirkusakrobatik verschwimmen. Von Hannah Lichtenthäler
Unter dem Namen „1927“ erlangten Suzanne Andrade, Esme Appleton und Paul Barrit 2012 mit ihrer Inszenierung von Mozarts „Die Zauberflöte“ weltweite Anerkennung. Nun sind sie zurück an der Komischen Oper Berlin und haben Igor Strawinskys Ballett „Petruschka“ und Maurice Ravels Oper „L’Enfant et les Sortilèges“ (deutsch: Das Kind und der Zauberspuk) neu inszeniert.
„Petruschka“, eine Burlesque in vier Akten, handelt von einem russischen Jahrmarkt, auf dem ein sadistischer Puppenmeister seine drei Puppen zum Leben erweckt: den Clown Petruschka, eine Ballerina und einen Muskelmann. Der niedergeschlagene Clown, der unglücklich in die Ballerina verliebt ist, versucht zu fliehen. Kurzweilig schafft er es auch und treibt sich auf dem Jahrmarkt herum, doch sein Glück bleibt nur von kurzer Dauer.
Ein Seiltanz zwischen Genregrenzen
Nach einer Pause geht es weiter mit „L’Enfant et les Sortilèges“, einer Fantaisie Lyrique in zwei Akten. Darin geht es um einen ungezogenen, zerstörungswütigen Jungen in gelber Uniform, die stark an die der Pfadfinder in Wes Andersons „Moonrise Kingdom“ erinnert. Wütend darüber seine Hausaufgaben erledigen zu müssen, reißt er das Pendel der Wanduhr ab, zerstört das Märchenbuch, schmettert Geschirr zu Boden und fängt ein Eichhörnchen im Käfig. Sein Kinderzimmer wird lebendig und die Gegenstände, Pflanzen und Tiere rächen sich an ihm, sogar die Sonne droht ihn zu verbrennen. Sie geben ihm die Schuld, dass die Prinzessin aus dem Märchen seinetwegen nicht vom Prinzen gerettet werden kann. Voller Reue schreit er schließlich nach seiner Maman und ist geheilt.
In der Aufführung verschwimmen die Grenzen zwischen Oper, Ballett, Zirkus und Zeichentrickfilm. Eine halbe Stunde dauert der bunte Spuk des Jahrmarkts, der mit einer beeindruckenden akrobatischen Performance das Gefühl verleiht, mitten in einer Manege zu sitzen. Die Animationen auf der Leinwand ersetzen größtenteils die Requisiten, die in klassischen Opern das Bühnenbild schmücken. Dies verleiht der Bühne eine neue Dimension, die sonst nur im Kino zu sehen ist. Auch im zweiten Stück interagiert die Projektion der gezeichneten Fantasiewelt mit den Darstellerinnen auf der Bühne auf verblüffende Weise. Weshalb diese beiden Stücke – inhaltlich und voneinander – in einer Aufführung zusammengeführt wurden, wird nicht ganz klar.
Moderne Inszenierung, veraltete Interpretation
Die Inszenierung zeigt jedenfalls, dass auch Opern sich der modernen Zeit anpassen und die technologischen Möglichkeiten geschickt nutzen können. Es ist erfrischend, wie zeichnerische Animation mit akrobatischem Tanz von echten Zirkusartistinnen und -artisten auf der Bühne verschmelzen. Die Klänge des Chors und der Sopranistin Nadja Mchantaf sowie das Orchester unter der musikalischen Leitung von Markus Poschner erinnern das Publikum daran, dass es sich doch um eine Oper handelt.
Doch trotz der optisch modernen Inszenierung fehlte es dem Stück an modernen Interpretationsmöglichkeiten auf inhaltlicher Ebene. Das Bild von Frauen als zu rettende Prinzessinnen oder stumme Ballerinas ist alles andere als modern. Einen Besuch war die Aufführung trotzdem wert, nicht zuletzt, weil die Komische Oper mit ihrem neobarocken Innenraum verblüfft.
Petruschka/ L’Enfant et les Sortilèges läuft noch bis Juli in der Komischen Oper Berlin. Die nächsten Termine sind: 08.02.2017, 19.02.2017, 02.03.2017, 05.03.2017, 10.03.2017, 26.03.2017. Studierende zahlen an der Abendkasse 4-8€. Weitere Informationen zu Preisen finden sich hier: https://www.komische-oper-berlin.de/karten/.