Mehr Zweckehe als Liebesheirat. Unsere Autorin hat ein gespaltenes Verhältnis zu ihrem Semesterticket. Von Cecilia T. Fernandez
Liebes Semesterticket,
wie reizend von dir, dass du immer dann in den tiefsten Falten meines Portemonnaies verschwindest, wenn der Kontrolleur schon mit genervter Miene auf mich hinab starrt. Mit glühenden Wangen krame ich dann panisch in meiner Tasche und finde dich irgendwann zwischen meiner Mensakarte und einem angelutschten Bonbon wieder.
Wie ein zerknüllter Lappen liegst du dann vor mir und badest in deinen eigenen Schnipseln. Ich weiß: Dass du so aussiehst, habe ich mir selbst zu Schulden kommen lassen. Dafür entschuldige ich mich. Immerhin soll ich stets der Zeiten auf dem Dorf gedenken, als es dich nicht gab. Dort fuhr der Bus nur jede halbe Stunde und U-Bahnen gab es nicht.
Jetzt habe ich dich und du gewährst mir für nur fast 400 Euro im Jahr Zugang zu Berlin und Umland. Na gut, nicht wirklich zum Umland… Wer in Brandenburg unterwegs ist, den bringst du nicht weit. Aber seien wir ehrlich, wer will schon auf ’s Land fahren, wenn man auch in den Berliner Unterwelten verweilen kann, zwischen unverständlichen Bahnhofsansagen und vorbeihuschenden Nagetieren?
Zu deinem Kauf bin ich verpflichtet. Und weil der Preis jedes anderen Tickets mit deinen Leistungen irgendwo zwischen 100 Euro monatlich und einem Erstgeborenen rangiert, schulde ich dir sogar Dankbarkeit.
Deshalb an dieser Stelle ein großes „Dankeschön“! Danke dafür, dass ich ein Verkehrsnetz nutzen darf, das riecht, als wäre es nicht mit Champagner, sondern Urin getauft worden. Danke dafür, dass der Fahrplan der Linie M11 ähnlich zuverlässig ist, wie dieser eine Freund, der einem schon vor Monaten die einst ausgeliehene DVD zurückbringen wollte. Und natürlich auch Danke dafür, dass ich in Zügen fahren darf, in denen mir fast täglich selbsternannte Barden der Bahnen „Hit the Road, Jack“ ins Ohr kreischen, während ich schon verzweifelt versuche, mir die Kopfhörer in die Hirnrinde zu bohren. Das darf man alles nicht so negativ sehen. Schließlich sind die morgendlichen Fahrten in der U3, in denen man sich mit scheinbar allen anderen 39.999 FU-Angehörigen einen Kurzzug teilt, nicht bloß Zumutungen – das sind Herausforderungen für Nase, Lungen und das physikalische Konzept von Raum! Und an Herausforderungen wächst man.
Doch für all das kannst du ja wirklich nichts, liebes Semesterticket. Und weil ich dich und deinen günstigen Tarif nicht verlieren will – weil ich es mir gar nicht leisten kann – schlucke ich meine Vorwürfe lieber runter und halte mir einfach die Nase zu. Nicht, dass ich am Ende zurück ins Dorf verbannt werde.
Beste Grüße
Ein genervter, liebender Fahrgast