Ewige Ehemalige: Rebellion bis nach ganz oben

Ska Keller war mal Punk. Jetzt sitzt sie im Europaparlament. Eine Gratwanderung zwischen Aufmüpfigkeit und Konformität, zwischen Revolution und Marsch durch die Institutionen. Julian Jestadt sprach mit ihr über ihren Weg.

©European Green Party
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Ska war mal Punk – volles Programm: provokant, mal mit Glatze, mal mit grünen, mal mit blauen Haaren. „Ich habe damals alles ausprobiert. Wollte meine Individualität zur Schau stellen“, sagt sie. Inzwischen sieht sie etwas seriöser aus, etwas unscheinbarer, vielleicht sogar angepasst. Seit 2009 sitzt Ska, die mit vollem Namen Franziska Keller heißt, für die Grünen im Europäischen Parlament. Sie ist handels- und migrationspolitische Sprecherin der europäischen Grünen und seit Dezember 2016 auch deren Vorsitzende.

Die 35-Jährige sitzt neben dem Eingang eines Cafés an der Spree, den Rücken zum Fenster, das Smartphone vor sich. Gestern erst kam sie aus Brüssel nach Berlin, heute hat sie schon mit Scharen von Journalisten gesprochen. Sie ist freundlich, aber bestimmt, vielleicht etwas genervt. Gleich muss sie zu einer Parteiveranstaltung in der Nähe. Ob sie Lust hat? „Total“,sagt sie, „wird bestimmt super!“ Und man weiß nicht, ob sie das ernst meint oder nicht.

Ska wurde 1981 in Guben, Brandenburg, geboren, wo sie auch ihre Schulzeit verbrachte. Insgesamt 15 Jahre, zwei Mal ist sie sitzen geblieben. Irgendwann in dieser Zeit begann sie, über Politik nachzudenken, wurde Punk und Vegetarierin. Sie engagierte sich im antirassistischen Ortsverein und mit 20 Jahren trat sie der Grünen Jugend bei. Dort legte sie einen rasanten Aufstieg hin: 2009 – ihre Masterarbeit war noch nicht geschrieben – wurde sie ins Europäische Parlament gewählt.

Ska hat Islamwissenschaften, Judaistik und Turkologie an der FU Berlin studiert. Ihr Studium bestand eigentlich nur aus Sprachkursen. Sie lernte Arabisch, Türkisch, Hebräisch. Doch die Politik stand für sie im Vordergrund: In den Pausen ging Ska in den Computerraum, um ihre Parteimails zu beantworten. Am Wochenende fuhr sie zu Politikveranstaltungen. Als sie dann ins Europäische Parlament gewählt wurde, war das alles etwas viel – und ihre Masterarbeit litt darunter.

Heute kämpft Ska für Flüchtlinge und gegen eine undemokratische EU. „Ich streite für ein gerechtes, faires Europa, das Flüchtlinge schützt, Menschen hereinlässt und fair behandelt; das Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit nicht nur im Inneren beachtet, sondern auch bei den Außenbeziehungen.“ Damit gehört sie zum linken Flügel der Grünen. Seit langem fordert Ska eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen in Europa, bei der die Präferenzen der Geflüchteten berücksichtigt werden. Sie will ein Ende des EU-Türkei-Deals, der Menschenrechte mit Füßen trete, und kritisiert die undemokratischen Verhandlungen um TTIP.

Doch sie glaubt, dass den Europäischen Grünen eine Vision fehlt: „Wir brauchen die große Idee, wo es hingehen muss.“ Die meisten Abgeordneten würden in erster Linie ihren Wahlkreis vertreten, nicht Europa. Ska fühlt sich – trotz harscher Europakritik – als Europäerin und fordert eine grüne, europäische Vision. Die will sie den Grünen geben, wenn sie im Dezember die langjährige Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms abgelöst hat. Bis dahin überlegt sie, ob sie sich ihre Haare wieder abrasieren soll. Sie will provokant sein. Ska ist eben noch immer Punk im Europaparlament.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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