“Was uns das nützt? Wenig!”

Forschung kann manchmal ganz schön abgefahren sein. Nicht selten kommt die Frage auf: Was hat das noch mit der Realität zu tun? Wir haben uns die Forschungsprojekte mit den kuriosesten Titeln herausgesucht und uns ihren Zweck erklären lassen. Von Eva Famulla

Im Neolithikum bleiben die Toten mit im Haus. Foto: Manon Scharstein

Im Neolithikum bleiben die Toten mit im Haus. Illustration: Manon Scharstein

Name: In der Kambrischen Explosion gefangen: Die Probleme der frühen Evolution der Pterobranchia (Hemichordata, incl. Graptolithina) und ihrer evolutiven Neuerungen

Erste Eingebung: Kambrische Explosion – uh,das klingt spannend! Heißer Tipp: Vulkanologie. Allerdings wäre es eher unlustig im Vulkan gefangen zu sein…Andererseits: Je schlimmer die Umstände, desto grauenvoller die Pterobranchia: Eine Insektenart mit Riesententakeln und roten Augen.

Was es wirklich ist: Jörg Maletz vom Institut für Geologische Wissenschaften erläutert: „Zu Beginn des Kambriums, also vor etwa 500 Millionen Jahren, kam es zu einer verstärkten Diversitfikation – und es tauchten plötzlich neue Organismen auf, wo vorher fast nichts vorhanden war. Diese Vervielfältigung bezeichnet man als Kambrische Explosion. Pterobranchia sind eine kleine Gruppe von ziemlich einfachen Organismen, die vor Millionen Jahren gelebt haben.“

Was es bringt: „Letztendlich geht es darum, wie diese Vielfalt, die wir heute sehen, entstanden ist”, sagt Maletz. „Einen direkten praktischen Nutzen gibt es ehrlicherweise nicht. Es handelt sich um eine wissenschaftliche Fragestellung. Aber die Pterobranchia (“Graptolithen”) sind eine der wichtigsten Gruppen zum Datieren von Gesteinsabfolgen und somit für die Geologie von Großem Nutzen.“
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Name: Die Ringelschwanzgesundheit beim Schwein als tiergesundheitlicher Indikator

Erste Eingebung: Kopfkino: Ringelschwanz mit drei Ringeln – das Schwein ist gesund, Ringelschwanz mit einem Ringel – das Schwein hat Magenschmerzen, Ringelschwanz ohne Ringel – das Schwein hat die Klauenseuche.

Was es wirklich ist: Jürgen Zentek vom Institut für Tierernährung erklärt: „Schweine neigen stark dazu sich gegenseitig anzufressen. Der Ringelschwanz ist für dieses kannibalistische Verhalten sehr reizvoll und wird deshalb häufig gestutzt. Ziel unserer Studie war es, zu schauen, ob möglicherweise vorliegende Verdauungsstörungen im Zusammenhang mit dem Auftreten dieses Verhaltens stehen könnten.“

Was es bringt: „Um das Kürzen der Schwänze zu vermeiden, versucht die Forschung eine bessere Ernährung und Haltung für Schweine zu finden”, erklärt Zentek.
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Name: Haushalt und Tod. Machbarkeitsstudie für die holistische Fallstudie Baja zu sozialen Inwertsetzungsprozessen und Identitäten im späten akeramischen Neolithikum der Südlevante
Erste Eingebung: Haushalt und Tod! Wie dramatisch. Wie viele arme Hausfrauen sind beim Putzen gestorben? Wie viele Männer beim Reparieren diverser elektronischer Geräte? Ach Mist, Neolithikum. Es geht um die Jungsteinzeit…
Was es wirklich ist: Hans Gebel vom Institut für Vorderasiatische Archäologie erläutert: „Im Neolithikum entstehen erstmals Eigentumsvorstellungen von Land, Wohnraum oder Ideenräumen. Der Mensch ist gerade sesshaft geworden und wohnt oft über den Toten in seinen Häusern. Wir versuchen herauszufinden, was diese Sozialbindung an die Toten bedeutet. Wahrscheinlich sind die Gräber der Ahnen Eigentumsnachweise.“

Was es bringt: „Wir beschäftigen uns mit den Ursprüngen unseres gesellschaftlichen Lebens, es geht um unsere Geschichte und unser soziales Denken”, sagt Gebel. „Was uns das heute nützt?Wenig! Es hat sich immer wieder erwiesen, dass der Mensch nicht aus der Vergangenheit lernt.“

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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