Wie lässt sich wissenschaftliche Unabhängigkeit bei der Kooperation mit politischen Institutionen wahren? Der Sonderforschungsbereicht 700 (SFB), mitgetragen von der FU, forscht zum Thema «Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit”. Seit zwei Jahren gehört dazu ein direkter Austausch mit dem Auswärtigen Amt. Ein Gespräch mit Dr. Gregor Walter-Drop, Leiter des SFB 700 über politischen Einfluss und wechselseitige Irritation. Von Marius Mestermann
FURIOS: Herr Walter-Drop zunächst zu Ihrer Forschung: Im SFB 700 beschäftigen Sie sich mit Räumen, in denen Staaten ihr Gewaltmonopol verloren oder große Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Regeln haben. Warum ist das wichtig?
Gregor Walter-Drop: So verstandene Räume begrenzter Staatlichkeit gibt es immer und überall. Nicht nur im vom Bürgerkrieg zerstörten Somalia, sondern auch innerhalb von etablierten und starken Staaten. Der indische Staat zum Beispiel schafft es nicht, Gesetze gegen Kinderarbeit durchzusetzen. China hat das Problem mit seiner Umweltpolitik. Begrenzte Staatlichkeit ist der Normalfall. Die Wissenschaft hat aber oft einen unheimlich staatszentrierten Fokus, weil das unserer westlichen Erfahrung entspricht. Wir konzentrieren uns auf Regierungsformen, die unter, über oder neben dem Staat existieren. Unser Forschungsansatz ist also ein Perspektivwechsel.
Seit zwei Jahren gibt es eine Kooperation zwischen dem SFB und dem Auswärtigen Amt. Inwiefern sind Ihre Erkenntnisse für das Ministerium relevant?
Wenn Deutschland beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo beim Aufbau des Rechtsstaates helfen will, können nicht einfach unsere eigenen, westlichen Modelle und Institutionen exportiert werden. Man muss sich über die sehr hohe Komplexität der Governance-Landschaft vor Ort im Klaren sein. Erst wenn man weiß, dass im Kongo überwiegend durch traditionelle oder religiöse Gerichte Recht gesprochen wird, kann man sinnvolle Maßnahmen zu ihrer Förderung ergreifen und die richtigen Akteure ansprechen. Das sagen wir den Kollegen im Auswärtigen Amt.
Einige Ihrer Mitarbeiter arbeiten zeitweise direkt im Auswärtigen Amt. Welchen Einfluss hat der SFB auf die dortigen Strategien?
Mit der Bezeichnung »Einfluss« wäre ich vorsichtig. Wir sind keine politischen Akteure. Wir sind Wissenschaftler, die bestimmtes Wissen zur Verfügung stellen und Optionen eröffnen, wie man über bestimmte Dinge nachdenken kann. Politische Entscheidungen müssen auf einer politischen Ebene getroffen werden. Das machen wir nicht. Auch um unsere Unabhängigkeit zu wahren. Wir organisieren nur Veranstaltungen für Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes sowie Fachkollegen von der Uni und schreiben kleine Papiere. Wie sich dadurch die Strategien des Auswärtigen Amtes ändern, ist nicht messbar. Aber wir sind auch keine Politikberater, sondern betreiben einen wechselseitigen Austausch: Wir haben eine bestimmte Art von Expertise, das Auswärtige Amt auch.
Wie wahren Sie bei dieser engen Zusammenarbeit Ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit?
Unsere Mitarbeiter stehen nicht auf der Gehaltsliste des Auswärtigen Amtes. Das darf auch niemals passieren. Die Funktion des Projektes ist vielmehr die wechselseitige Irritation. Wenn wir das Auswärtige Amt nicht mehr irritieren, sondern sich das Amt an uns klammert, dann haben wir etwas falsch gemacht.