13 Gründe = Suizid?

Die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ spaltet die Gemüter. Auch Hanna Sellheim findet, die Serie lässt viel Potenzial ungenutzt – und wird deshalb nicht zu Unrecht kritisiert.

Hannahs Welt bricht immer mehr zusammen. Quelle: Flickr

Hannah fühlt sich immer weiter in die Ecke gedrängt. Quelle: Flickr

Achtung: Dieser Artikel enthält Spoiler.

Hannah Baker ist tot. Das ist die Ausgangssituation, in die uns die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ hineinwirft. Zwei Wochen nach ihrem Tod lernen wir den Protagonisten Clay Jensen kennen, der vor seiner Haustür Kassetten findet, auf denen Hannahs Stimme zu hören ist. Auf diesen 13 Kassetten wendet sich diese an die 13 Menschen, die auf irgendeine Weise zu ihrem Suizid beigetragen haben.

Die Serie schafft es auf soziale Strukturen aufmerksam zu machen, denen Frauen ausgesetzt sind. Schonungslos zeigt sie auf, wie ein Klima aus sexueller Objektifizierung, Misogynie und Leistungsdruck junge Frauen psychisch fertigmachen kann. In anderen Momenten hingegen gerät die Auseinandersetzung mit den heiklen Themen Mobbing und Suizid erschreckend plump.

Bilder wie in einem Splatter-Streifen

Zu Recht hat die Serie Kritik für die drastische Darstellung von Hannahs Vergewaltigung und Suizid erfahren.* Man kommt nicht umhin, hier eine gewisse Effekthascherei zu unterstellen: Schließlich nimmt die Hannah des Buches bei ihrem Suizid eine Überdosis Tabletten. In der Serie schneidet sie sich die Pulsadern auf. Diese Änderung geschieht wohl auch, um Hannahs blutende Arme mehrfach wie in einem Splatter-Streifen zu inszenieren. Trotzdem wäre die Serie auch ohne diese Bilder auf einem riskanten Weg.

Denn es fällt beim Zusehen nicht schwer, ab und an zu vergessen, was ein Suizid wirklich bedeutet. Hannah wirkt durch die Vor- und Rückblenden geradezu omnipräsent: In gut der Hälfte der Szenen spaziert sie durch die Schulgänge und plaudert mit Clay. Ihre starken Momente erreicht die Serie, wenn sie die realen Konsequenzen zeigt: ihre trauernden Eltern, ihr trostloses Grab und ihren Tod, an dem nichts Schönes, nichts Romantisches ist. In diesen Augenblicken wird den Zuschauenden schmerzhaft bewusst, was für ein klaffendes Loch ein Suizid in die Welt reißt. Dieses Potenzial, einen Werther-Effekt zu verhindern, schöpft die Serie jedoch nicht genug aus.

Lügen tote Mädchen vielleicht doch?

Versuche, Hannahs Figur mehr Ambivalenz zu verleihen, scheitern in der Regel. Der interessanteste Anstoß stammt von Skye: In einem Gespräch mit Clay deutet sie an, dass sie, die selbst unter psychischen Problemen zu leiden scheint, von Hannah stets nur ignoriert wurde. Dieser subtile, aber bedeutende Austausch zwingt die Zusehenden, sich eine unangenehme Frage zu stellen: Entspricht Hannahs Sicht der Ereignisse wirklich der Wahrheit oder hat sie vielleicht auch aus Ignoranz potenziell wertvolle Freundschaften verspielt? Auch wenn Hannah keineswegs eine Mitschuld an ihrer Via Dolorosa angedichtet werden sollte, darf eine Serie wie diese sie nicht ohne Fehler zeigen, sondern muss deutlich machen, dass ihre Entscheidung zum Suizid nicht alternativlos ist.

Aber mit keinem Wort wird je erwähnt, dass Hannahs Suizid auch die Antwort auf eine Depression ist. Die Serie tut so, als sei ein Suizid rein von äußeren Faktoren abhängig, als seien Individuen allein für etwas verantwortlich, dem in Wahrheit auch eine systemische und strukturelle Problematik zugrunde liegt. Sie stellt so eine zu kurz gedachte Gleichung auf: 13 Gründe = Suizid.

*Die australische Organisation für psychische Gesundheit „headspace“ und andere Organisationen haben für „Tote Mädchen lügen nicht“ eine Warnung herausgegeben. Wer von psychischen Problemen betroffen ist, sollte daher besser Abstand davon nehmen, sich die Serie anzuschauen. Wer Hilfe braucht, kann sich an die Psychologische Beratung der FU unter 030 838 52247 oder per E-Mail an psychologische-beratung@fu-berlin.de wenden. Auch das Krisentelefon der Telefonseelsorge Berlin bietet unter 0800 111 0 111 rund um die Uhr kostenfrei und anonym Unterstützung.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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2 Responses

  1. luryel sagt:

    Hallo, kleine Anmerkung, es wäre ziemlich gut wenn ihr lieber Suizid statt Selbstmord schreibs, bzw wenn es im Artikel verwendet wird. Selbstmord ist in der Wortwahl ja schon bewertend und stigmatisierend, und zu Weilen triggernd. In der Psychiatrie und Therapie wird auch eher Suizid verwendet da es einfach Selbsttötung bedeutet, was deutlich wertfreier ist. Da dieser Artikel auch auf FB geteilt wird/wurde und ihr abschließend auch Telefondienste zur Unterstützung bennennt, wäre es vielleicht auch die Wortwahl etwas anzupassen.

    • FURIOS Redaktion sagt:

      Hallo, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben darauf reagiert und den Begriff geändert. Liebe Grüße, die FURIOS-Redaktion

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