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Die Gesellschaft glaubt an den deutschen Universitäten floriere eine große studentische Kultur voller Freigeister und Kreativen. Es gibt aber mehr als diesen Einheitsbrei. Welche Subkulturen lassen sich auf dem Campus entdecken und wie sind sie zu erklären. Von Corinna Cerruti

An einem normalen Unitag begegnen einem die unterschiedlichsten Menschen. Morgens treffen sich einige Studierende im Café Kauderwelsch, um noch eine vegane Bio-Latte im eigens dafür mitgebrachten Becher zu schlürfen. Äußere Kennzeichen wie Kleidungsstil oder Symbole lassen die Person schon als Veganer, Hippie oder Öko erkennen. Spätestens im Gespräch werden diese Personen entlarvt. Sie unterscheiden sich auf der einen Seite vom Mainstream des Campus. Auf der anderen Seite aber hat man das Gefühl, sie schon öfter getroffen zu haben.

In den Fluren trifft man häufig den Mate-trinkenden Hipster mit Rauschebart und zusammen geknoteten Haaren. Oder die BWL-Studentin mit Perlenohrringen, deren teure Markenbluse unter dem Pullover hervorblitzt und die ihre schweren Wirtschaftsbücher mühselig zur nächsten Vorlesung schleppt. Bei diesen Charakterisierungen handelt es sich natürlich um Stereotype. Trotzdem laufen sie einem regelmäßig über den Weg, und wenn man darüber nachdenkt, gibt es bestimmte Orte am Campus, wo augenscheinlich Anhänger derselben Kultur auftauchen. Wie lässt sich das erklären?

Jens Ambrasat, Doktorand der Soziologie an der Freien Universität, beschreibt diese Gruppierungen als Subkulturen, die sich von einer ganzheitlich wahrgenommenen, universitären Kultur abgrenzen. Sie zeichnen sich durch ein eigenes Erscheinungsbild aus, zum Beispiel durch Kleidung oder Symbole, durch eine gemeinsame Musikpräferenz oder bestimmte Freizeitaktivitäten. „Es muss Praktiken und gemeinsame Räume geben, wo man sich trifft, um die gemeinsame Kultur auszuleben, wo man sich aneinander orientiert und die eigene Identität in Bezug zu dieser Subkultur setzt“, erklärt er. Dabei entwickele sich ein Wir-Gefühl, das den eigenen Lebensstil zu anderen Subkulturen abgrenze und eine gemeinsame Identität schaffe. Eine Subkultur sei jedoch nicht mit einer Clique zu verwechseln: Eine Clique sei eine informelle Gruppe und gründet vor allem auf freundschaftlicher Basis. Sie brauche keine gemeinsamen kulturellen Merkmale, auch wenn sie sich oft durch gemeinsame Interessen und Einstellungen bilde.

Zu Beginn eines Studiums beeinflusst wohl besonders der eigene Studiengang, mit welcher Subkultur man sich identifizieren kann. Laut Ambrasat können diese sogenannten „Fachkulturen“ großen Einfluss auf politische Einstellungen und den Lebensstil der Studierenden haben, sodass sich diese nur noch in bestimmten Räumen untereinander aufhalten: „So bilden sich in den Fächern meistens eigene studentische Kulturen heraus.“ Der Grund für solche Fachkulturen liegt also darin, dass die Studierenden innerhalb eines Studienganges meist für sich bleiben. Das treffe vor allem auf Monobachelor zu. Interdisziplinäre Studiengänge böten mehr Austausch zwischen den Fächergruppen, wodurch viele Studierende mehr aus ihrer Fachkultur ausbrechen können und offener für andere Einflüsse sind.

Aber entstehen diese Subkulturen überhaupt an der Universität? Oder sind sie schon in der Gesellschaft existent und werden in den universitären Raum getragen? Ambrasat hält beides für möglich. Innerhalb des eigenen Studiengangs grenze sich die Fachkultur gegenüber einer allgemeinen universitären Kultur und den Kulturen anderer Fächer ab. „Aber gerade in Bezug auf Lebensstilfragen halte ich es für viel wahrscheinlicher, dass die von außen hineingetragen werden, vielleicht leichte Abänderungen erfahren, aber nicht wirklich in der Universität entwickelt werden.“ Vielmehr würden Trends aus der Gesellschaft in der studentischen Kultur verstärkt.
Studierende – als eine Avantgarde der Gesellschaft – hätten meist die wirtschaftlichen Ressourcen, um experimentelles Verhalten zu zeigen. “Dadurch, dass sie sich in einem sozialen Raum begegnen, können sich diese Einstellungen wiederum verstärken“, sagt Ambrasat. So sähe es für die Gesellschaft von außen aus, als würden Studierende durch ihre Extravaganz neue Trends schaffen. Weiterhin sei anzunehmen, dass viele Studierende schon vor der Universität einen bestimmten Lebensstil pflegen oder gewissen Einstellungen folgen und nach diesen auch ihren Studiengang wählen. Eine Studierende, der Wohlstand sehr wichtig sei, würde vielleicht eher Jura oder BWL studieren als Kunstgeschichte oder Pädagogik. Jemand, der vor allem technikversiert sei, fühle sich eher zu Informatik oder Ingenieurwesen hingezogen, als zu Politikwissenschaft oder Soziologie.

Autor*in

Corinna Cerruti

sucht ihre Geschichten am liebsten in den Zahlen. Auf Twitter als @Corinna_Cerruti.

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