Die Verteilung der Campustüten offenbart mehr menschliche Abgründe als Big Brother. Corinna Segelken und Rebecca Stegmann waren dabei und fanden es leider geil.
Endlich ist der Tag gekommen, die Tüten sind da! In einer Schar von Studierenden stehen wir draußen vor der Mensa und warten, auch wenn das Seminar schon längst angefangen hat. Wer braucht schon Wissen, wenn es kostenlose Mate und Schokolade gibt? Wir trippeln hin und her, starren auf die Kartons, die stapelweise aus dem LKW geholt werden. Da noch keine Tüten verteilt werden, staut es sich wie vor einem schlechten Club, bei dem die Schlange extra lang gehalten wird, damit keiner weiß, dass drinnen nur drei Leute tanzen.
Neben uns reckt eine Mensa-Verkäuferin ihren Hals, um über die Menschenmenge hinweg die Kartons im Auge zu behalten. Pflichtbewusst wurde mit schwarzem Filzstift gekennzeichnet, ob sie für M(änner) oder F(rauen) bestimmt sind. Ein Mädchen hinter uns ruft: „Da! Der Kopf schaut schon raus! Es ist ein Junge!“ Tatsächlich, ein Paket wurde von den Mitarbeitern geöffnet, oben schaut jetzt die erste Tüte raus.
Team Blau vs. Team Rosa
Wie bei der Vorbereitung zum Völkerball Mädchen gegen Jungs spaltet sich die aufgeregte Masse: Team Blau vs. Team Rosa. Peinlich berührte Blicke erreichen diejenigen, die im falschen Block stehen. „Mein Freund will auch eine!“, erklärt ein Mädchen, um ihre Position im Männerbereich zu rechtfertigen. Puh, gerade noch einmal gut gegangen. Die Mitarbeiterin neben dem F-Karton flüstert schüchtern: „Wir gendern auch und so.“
Dann geht alles ganz schnell. Die ersten Menschen stürzen sich auf die Kartons, der ganze Pulk setzt sich in Bewegung. Der Mann auf der LKW-Ladefläche motzt, weil er keinen Platz mehr hat, um die letzte Palette abzuladen. Alles egal, hauptsache eine Tüte bekommen, wer weiß, wie schnell so eine LKW-Ladung verschwunden ist. Als wir endlich ganz vorne stehen schaut uns die Tüten-Verteilerin an und meint: „Sorry, wir haben gerade nur noch Jungs-Tüten“. Klar, wir sind ja auch Mädchen und mögen nichts, das nicht pink ist und glitzert. Also warten wir noch eine Weile, bis ein Paket mit Mädchen-Tüten geöffnet wird.
Rasierer für die Löwen
Dann ist der heilige Gral endlich in unseren Händen. Wir schieben und schubsen uns aus der Menge raus und begutachten unseren Schatz: Es gibt Cider, Mate, Kit Kat, Cornflakes und eine anscheinend äußerst feminine Chai-Latte Probe. Jungs bekommen die nämlich nicht. Stattdessen kriegen sie Rasierer und ein Lion-Müsli, damit sie ihre Männlichkeit auch beim morgendlichen Cerealien-Schlabbern zur Schau stellen können.
Von den dutzenden Flyern schmeißen wir alle, an denen kein Pröbchen festgeklebt ist, sofort weg. Wir wollen schließlich keinen Rabatt, sondern nur Kostenloses! „Wer schlau sein will, muss lutschen“ lehrt uns vorher noch ein Flyer inklusive Bonbon – unsere intellektuellen Beiträge für das nächste Seminar sind also gerettet. Thema: Vereinnahmung von Uniraum durch die kapitalistische Konsumgesellschaft.
Verstohlen kehren wir aus dem verräterischen Sonnenlicht zurück in die rettende Anonymität der Silberlaube. Das Gerücht geht um, dass ein paar der besonders gierigen und schamlosen Studierenden sich gleich mehrmals anstellen. Sie horten ihre Schätze auf Toiletten und in studentischen Cafés bevor sie, vollgepackt mit einem halben Dutzend Tüten und leicht beschwipst vom Cider, ihren Heimweg antreten. Doch das würde uns natürlich nie einfallen.