Der Polit-Talk “Anne Will” ist regelmäßig Schauplatz hitziger Diskussionen und stand auch schon öfter selbst in der Kritik. Was sich die Macher dabei denken, hat der Redaktionsleiter der Sendung vor kurzem an der FU erklärt. Von Corinna Cerruti.
Seit Andreas Schneider Redaktionsleiter bei Anne Will ist, sind viele Wahlkämpfe ins Land gegangen. Duelle wie Obama gegen McCain, Merkel gegen Steinbrück, Hollande gegen Sarkozy – und zuletzt natürlich Trump gegen Clinton. Neun Jahre ist es mittlerweile her, dass der Journalist und Moderator vom rbb zum Polittalk im “Ersten” wechselte. Vor kurzem stattete er der aktuellen Ringvorlesung des OSI-Clubs einen Besuch ab, die sich um “Die Medien im Wahlkampf” dreht. Von einer “Bewährungsprobe für die Vermittler in der Demokratie” ist da die Rede, und der Eindruck, den Andreas Schneider lieferte, suggerierte genau das.
Meinungen aushalten, Tabus ansprechen
Er hat gemeinsam mit seinem Team die Aufgabe, jede Woche eine Sendung zu organisieren, die sich der für die Öffentlichkeit wichtigsten Themen annimmt. Schneider sieht das Format Talkshow als Teil der Demokratie, der es den Zuschauer*innen vor den Bildschirmen auch abverlangt, andere Meinungen als die eigene auszuhalten. Dazu gehöre auch, Tabus anzusprechen, so Schneider, womit er auf eine Sendung anspielte, bei der eine Frau im Niqab über den Dschihad debattierte. Die öffentliche Reaktion war so heftig wie erwartbar.
“Das Wichtigste”, sagt Schneider, “ist, dass mein Team journalistisch sauber arbeitet. Wenn kontroverse Themen angesprochen werden, braucht es eine gute Faktenlage.” Lädt die Redaktion etwa Personen ein, die mit populistischen Argumenten hantieren, muss sie diese mit gut vorbereitetem Material konfrontieren können. Dazu werden mögliche Einwände einkalkuliert und Beweise gesammelt, damit keiner sagen könne, eine Aussage sei aus dem Zusammenhang gerissen worden, erklärt der Redaktionsleiter: “Unser Job ist es, Widersprüche aufzulisten. Uns geht es nicht darum jemanden vorzuführen, sondern aufzuklären.”
Zu viele Politiker*innen zerstören die Dynamik
Schneider distanziert sich naturgemäß von dem Vorwurf, “Anne Will” würde Meinungsmache betreiben. Natürlich verbreite die Sendung Meinungen, jedoch zum Zweck der Orientierung. Er traue es den Zuschauer*innen selbst zu differenzieren und sich die eigene Meinung letztlich selbst zu bilden. Im Wahlkampf sind Talkshows daher natürlich eine wichtige Bühne. Je näher ein Wahlkampf rücke, so Schneider, desto schwieriger werde es, eine Auswahl an Gästen für die jeweilige Sendung zu treffen.
Politiker*innen möchten dann nämlich zunehmend im Rampenlicht stehen und ihre Anliegen unter die Leute bringen. Zu viele von ihnen zerstören jedoch die Dynamik der Gespräche, findet Schneider: „Die Lebendigkeit einer Sendung entsteht auch daraus, dass unterschiedliche Charaktere, Meinungen und Temperamente aufeinandertreffen.“ Für Schneiders Vortrag interessierten sich offenbar sehr viele, der Hörsaal am OSI war jedenfalls voll besetzt. “Anne Will” hat jetzt erstmal Sendepause, Anfang Juli kommt erst die nächste Ausgabe. Und dann ist ja fast schon die heiße Phase im Bundestagswahlkampf – mal sehen, was sich Andreas Schneider und sein Team dann einfallen lassen.
Die Ringvorlesung des OSI-Clubs geht bereits heute Abend weiter. Um 18 Uhr referiert FU-Professor Oskar Niedermayer über “Die Ausgangslage vor der Bundestagswahl aus Sicht der Parteien- und Wahlforschung”. Die Veranstaltung findet wieder in der Ihnestraße 21 in Dahlem statt.