Sturm und Regen kommen mal wieder pünktlich zum Auftakt des Berliner Sommers. Für das Schauspielensemble der Shakespeare Company ist dies jedoch kein Grund, ihre Aufführung unter freiem Himmel ins Wasser fallen zu lassen. Hannah Lichtenthäler über ein Wintermärchen.
Es ist Mitte Juni und Berlins Sommer hat wieder einmal sein Tief erreicht: 15 Grad, strömender Regen und Gewitter. Wie passend, dass ich gerade jetzt, am wohl kühlsten Abend dieses Monats, Karten für Shakespeares „Wintermärchen“ habe. Ich packe also meinen Schal aus, hole mir eine der ausliegenden Decken und trinke einen Tee. „Ich dachte ja schon, dass wir heute absagen müssen, bei dem Regen vorhin“, werde ich am Einlass begrüßt. Kein Wunder, dass nicht mal zwanzig Leute im Publikum sitzen.
Seit 15 Jahren tritt das Schauspielensemble der Shakespeare Company Berlin (SCB) mit modernem Volkstheater auf. Die SCB übersetzt Shakespeares Poesie in ihre eigene Sprache, um sie für ein möglichst breites Publikum zugänglich zu machen. Die Inszenierungen sind an den Aufführungen des elisabethanischen Theaters zu Shakespeares Zeiten orientiert: einfache Kulisse, Publikumsnähe und Musik.
„Das Wintermärchen“, 1611 uraufgeführt, ist ein Eifersuchtsdrama über Ehebruch, Tod und Liebe. Es handelt von König Leontes von Sizilien, der seiner Frau Hermione eine Affäre mit König Polixenes von Böhmen vorwirft. Leontes Sohn stirbt vor lauter Kummer, woraufhin Hermione zusammenbricht und für tot erklärt wird. Die vermeintlich uneheliche Tochter Perdita wird im Wald fern des Königreichs ausgesetzt und von Schäfern großgezogen. Als junge Frau verliebt sich Perdita später in den Sohn von König Polixenes; aus Angst vor der Ablehnung des Vaters fliehen sie nach Sizilien, um zu heiraten.
Eine moderne Interpretation mit Witz
Die vier Schauspieler*innen schlüpfen in einer großartigen Inszenierung in je drei verschiedene Rollen. In einer Szene ist Thilo Herrmann sogar in zwei Rollen gleichzeitig auf der Bühne: Er spielt Polixenes und seinen Sohn Florisel, die miteinander streiten, weil dieser dem Vater die Beziehung mit Perdita verheimlichte. Diese schauspielerische Glanzleistung ist bemerkenswert und amüsant zugleich. Zudem leistet er als Florsisel eine Tanzeinlage, die so manchen Goa Shuffler in die Ecke stellen würde. Die sprachliche Interpretation und Übersetzung des Stücks ist vor allem im zweiten Teil ausgesprochen unterhaltsam. Die Schäfer sprechen im norddeutschen Dialekt, was vor allem die Rolle des leicht verdatterten Schäfersohnes Hansdampf, gespielt von Johanna-Julia Spitzer, so sympathisch macht. Letztendlich bleibt wohl die Frage offen, warum Schäfer aus Böhmen eigentlich wie Fischer aus Hamburg sprechen.
Eine Brücke in die heutige Zeit schlägt das Stück auch mit Nico Selbach als Halunke Autolycus, der kurzzeitig mit dem Handy auf Kiezdeutsch seinen Kumpel anruft. Katharina Kwaschik hingegen beweist nicht nur schauspielerisches Talent als Königin, Wächter Archidamus und Tochter Perdita, sondern auch durch verschiedene musikalische Einlagen mit Geige und Akkordeon. So klischeehaft die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zu Shakespeares Zeiten auch waren, das Ensemble schafft es mit den Geschlechterstereotypen zu brechen. Zum einen spielen beide Frauen auch männliche Rollen, was Geschlechtsidentität fluide wirken lässt. Zum anderen lässt die Darstellung der ambivalenten Gefühlswelt bis hin zur Andeutung homoerotischer Spannungen Raum für eigene Interpretationen der Liebesbeziehungen.
Die aufwendigen Kostüme sowie die Verknüpfung von Schauspiel, Puppentheater und Musik machen diese Aufführung zu einem unvergesslichen Erlebnis, bei dem das Publikum mitsingen, mitfühlen und herzlich lachen kann. Auch wenn das Wetter mir keinen „Sommernachtstraum“ beschert hat, ließ sich das „Wintermärchen“, eingehüllt in eine Decke und mit einer Tasse Tee in der Hand, gut genießen.
Auf dem Spielplan dieser Saison stehen insgesamt acht Klassiker von Shakespeare, die von Juni bis September im Natur-Park Schöneberger Südgelände bei S-Bahnhof Priesterweg laufen. Bis Juli läuft noch „Der Kaufmann von Venedig!“ Weitere Informationen hier