Der empörte Student

Die sogenannte Bildungsreise nach Berlin gehört fast in jeder Schule zum Pflichtprogramm. Ganz zum Leid unseres Autors, der nichts mehr hasst, als pubertierende Plagegeister auf Tour. Eine Wutschrift von Theo Wilde

Liebe Leitung der Klasse 10b der Erika-Burstedt Schule in Detmold,

aus Gründen der Sorge um meine geistige Gesundheit möchte ich Sie bitten, Bildungsreisen mit Schüler*innen in Zukunft statt nach Berlin lieber nach München oder Stuttgart zu machen.
Ich musste nämlich feststellen, dass ich mit meinen Strategien zur Umgehung nerviger Tourist*innengruppen bei Schüler*innengruppen auf Granit beiße. Sie sind um einiges unberechenbarer als die restlichen Berlin-Reisenden. Da sie die Bundeshauptstadt vor allem unter der Woche malträtieren, muss man sich an sämtlichen Werktagen vor ihnen in Acht nehmen. Am schlimmsten ist es dann, wenn Sie Ihren Schützlingen Freilauf gewähren und sie sich euphorisch in alle Richtungen verstreuen. So verschlägt es die verkaterten Horden aus der Provinz bisweilen sogar in das abgelegene Dahlem, wo sich sonst Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Aber nicht nur das macht sie zu den unangefochtenen Spitzenreiter*innen im Ranking der nervigsten Tourist*innen.

Sie und Ihre pubertierenden Mitreisenden scheinen auch ausschließlich aus Gegenden zu kommen, in denen die Postkutsche immer noch das Verkehrsmittel der Wahl darstellt. Nur so kann ich mir erklären, warum sie nicht in der Lage sind, mehr als eine Tür zu benutzen, wenn sie im Pulk eine S-Bahn betreten möchten. Auf diese Weise dazu verdammt in der Bahn zu bleiben, wird man von den schulpflichtigen Horden zertrampelt, die im Handumdrehen jeden S-Bahn-Waggon in eine Mischung aus Ameisenhügel und Schützengraben verwandeln.

Während der Fahrt im überfüllten Waggon stehen Ihre Schutzbefohlenen am liebsten auf den Füßen unbedarfter Mitreisender. Das Konzept, sich während der Fahrt festzuhalten, scheint zudem nicht überall in Deutschland verinnerlicht worden zu sein. Auf jedes Bremsen und Ruckeln der Bahn folgt nämlich eine praktische Veranschaulichung der Massenträgheit – sehr zum Leidwesen der restlichen Passagiere, die unter den Körpern der Jugendlichen begraben werden. Akustisch begleitet wird diese öffentliche Demonstration rücksichtslosen Vandalismus von stimmbrüchigem Geschrei und lautem Gelächter.

Nichts trübt die Vorfreude der pubertierenden Blagen auf den Besuch bei Dunkin’ Donuts und dem Ampelmännchen-Shop am Nachmittag, gefolgt von so einem richtig typisch Berliner Abend in der alten Kulturbrauerei.

Sie liefern damit Verfechter*innen von Kürzungen im Bildungssektor Schützenhilfe. Denn solange noch genug Geld zur Verfügung steht, um es ganzen Jahrgängen zu ermöglichen, in Berlin Sodom und Gomorrha vom Zaun zu brechen, kann es deutschen Bildungseinrichtungen so schlecht nicht gehen. Längst werden an den Pforten Berlins Schilder in den Boden gerammt: Refugees welcome, Oberstufen nicht! Selbst ihr müsst zugeben, dass es nur fair wäre, uns künftig in Ruhe zu lassen.

Hochachtungsvoll,
ein leidender Bewohner Berlins

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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