Zwischen äußerem Verfall und innerem Werden

In der “Ruine der Künste” setzt Wolf Kahlen der Vergänglichkeit die Kunst entgegen. Ein Blick hinter die Kulissen des Museums in der Hittorfstraße. Von Anna-Sophia Färber.

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Die Ruine der Künste von außen. Bild: Marius Mestermann

Das Gartentor quietscht leise beim Hereintreten. Die Bäume rauschen im Wind und Äste verwachsen wie selbstverständlich mit dem verfallenen Gebäude, welches groß und geheimnisvoll in dem verwildert wirkenden Garten steht. An der „Ruine der Künste“, die in der Hittorfstraße 5 ganz in der Nähe der Rost- und Silberlaube steht, gehen täglich zahlreiche Studierende vorbei, ohne sie richtig wahrzunehmen. Dabei ist sie durchaus sehenswert: Die Mauer ist durchsetzt mit Löchern und Rissen; aus dem obersten Stockwerk ragen einige Zweige aus dem Mauerwerk heraus. Das verfallene Gebäude wurde 1982 von Wolf Kahlen entdeckt und zum Museum umgebaut. 1940 in Aachen geboren, studierte er Kunst, Kunstgeschichte und Philosophie in Helsinki und New York, aber auch Amerikanistik an der Freien Universität, weshalb er sich heute noch gut auf dem Campus auskennt.

Seit der Eröffnung 1985 gibt es in dem kleinen Museum Kunst zu bestaunen. Und auch das Gebäude selbst ist ein Kunstwerk, das seine eigene Vergänglichkeit thematisiert. Kahlen renovierte das Haus drei Jahre lang, fast alle Arbeiten führte er dabei selbst aus. Dabei beschloss er, getreu seinen Grundsätzen, das Haus äußerlich so verfallen zu lassen, wie er es vorfand, und nur im Inneren zu modernisieren. Auf diese Weise repräsentiert die „Ruine der Künste“, was für Kahlen eine persönliche und künstlerische Maxime ist: Durch die Begegnung von zwei Wirklichkeiten, äußerem Verfall und innerem Werden, entsteht eine dritte Wirklichkeit, nämlich das Kunstwerk. „Der Kontext ist entscheidend! Alles ist auf etwas bezogen“, betont er. Seit über dreißig Jahren lädt er Künstler*innen von überall ein, dort auszustellen. Seit einigen Jahren hilft auch sein Sohn, Timo Kahlen, selbst Künstler, tatkräftig mit. Rund 150 Ausstellungen gab es in der Ruine seit der Eröffnung, Künstler wie Ugo Dossi und Wim Wenders haben dort mitgewirkt. Zurzeit stellt Kahlen selbst seine Werke in der Ruine aus.

Auch im Inneren macht sich die Vereinigung von Verfall und Werden bemerkbar, von der Kahlen so gerne spricht: An zwei Orten im Haus kann man durch eine Glasscheibe nach draußen schauen, wo alte Balkone und Säulen noch von der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erzählen. Kahlen selbst ist Buddhist, sieht der eigenen Vergänglichkeit mit einer beneidenswerten Gelassenheit entgegen. „Ich glaube an Reinkarnation“, antwortet er auf die Frage, was für ihn nach dem Tod komme. Ob er sich wünsche, dass sein Sohn die Ruine weiterführt, wenn er selbst mal nicht mehr ist? „Natürlich. Aber wenn das nicht passiert, dann ist das so und das würde dann auch zum Kontext des Lebens gehören.“

Es ist leicht, sich in diesem Allerlei von Kunst und Verfall zu verirren – was genau fordert die Aufmerksamkeit? Worauf die Konzentration lenken? Die Besonderheit des Ortes kann auch überfordern. Trotzdem macht die „Ruine der Künste“ bewusst, dass Vergänglichkeit nichts ist, das wir einfach so beiseite schieben können. Sie ist uns näher, als wir vielleicht wahrhaben wollen, aber deshalb nicht weniger faszinierend.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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