Viel Wohlstand, wenig Verwahrlosung

Axolotl Overkill, die Verfilmung von Helene Hegemanns skandalösem Roman, handelt mehr von überdrehter Belanglosigkeit als von menschlichen Abgründen. Corinna Segelken hätte sich mehr Mut gewünscht.

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Zerstörerische Gleichgültigkeit: Mifti zielt aus einer Laune heraus auf Ophelia. Foto: 2017 Constantin Film Verleih GmbH / Lina Grün

Mifti hat eine Waffe gefunden – nichts weiter als ein unbedeutendes Spielzeug für die 16-Jährige. Gelangweilt richtet sie sie schließlich auf ihre heroinsüchtige Freundin Ophelia. Die beiden lernten sich mit dem Satz “Steh auf Fotze und verbeug dich!” kennen – schonungslos, wie alles in Miftis Leben.

Als “wohlstandsverwahrlost” bezeichnet Mifti sich und ihre älteren Geschwister. Damit drückt sie aus, wie tief die Abgründe sein können in die Jugendliche sich hineinstürzen, obwohl es ihnen äußerlich gut geht. Die Romanvorlage Axolotl Roadkill wurde 2009 als Generationenwerk der Berliner Jugend bezeichnet, die damals 17-jährige Autorin Helene Hegemann als Wunderkind gefeiert. Mit Axolotl Overkill folgt nun eine Verfilmung, die viel richtig macht, jedoch nur an der Oberfläche kratzt.

Einziger roter Faden der Geschichte ist Miftis Affäre mit Alice, die sie an ihre tote Mutter erinnert. Ihre Obsession mit der viel älteren Frau benutzt sie als Ausrede nicht zur Schule zu gehen und als Erklärung für Drogen und Affären. Ihr Exzess wird von ihrer Familie als Hilfeschrei verstanden. Ein einberufenes Familientreffen verlässt sie wutschnaubend, aber nicht ohne sich noch ein Stück von der Käseplatte mitzunehmen – wohlstandsverwahrlost eben.

Fluchen, feiern, vögeln

Axolotl Overkill erzählt fragmentarisch und skizzenhaft von fluchen, feiern und vögeln – das ist aber auch die einzige Parallele zum Buch. Es scheint, als versuche Hegemann, die selbst das Drehbuch schrieb und Regie führte, krampfhaft ihren Roman zu relativieren. Gewalt, Sex und Drogenkonsum werden im Film nur angedeutet. Dadurch geht die schonungslose Härte der im Buch beschriebenen Szenen verloren. Vielleicht sollte ich echt mal so richtig vergewaltigt werden”, erklärt Mifti einem Taxifahrer nach dem Sex auf der Rückbank. Wie sie zu dieser Erkenntnis kommt bleibt ungewiss – ihre Hilflosigkeit wird ironisiert.

Wer Axolotl Roadkill gelesen hat, kennt das Innenleben Miftis und bekommt im Film nun die Außenansicht geliefert – und die ist ein großer Widerspruch. Für alle anderen wirkt die Hauptfigur wie genau das, was Hegemann nicht wollte: Eine 16-Jährige, die sich unzusammenhängend wegballert”. Retten tut dies allein der Soundtrack: „Me and the devil walking side by side” singt Gil ScottHeron und knüpft damit an Miftis Seelenzustand an. Denn ihr Leben ist nicht zerrissen zwischen Schule und Feiern – vielmehr schwebt über allem ein Hang zur Selbstzerstörung.

Zu wenig Tiefe für ein Kultobjekt

Keine andere als Jasna Fritzi Bauer hätte die Rolle der Mifti wohl in dieser Form verkörpern können – voll angestauter Aggressionen, kindlich, fast verletzlich und trotzdem von absurder street-credibility. Umso enttäuschender ist daher, dass Mifti von der Identifikationsfigur einer halben Generation zu einem belächelten Teenagercharakter mit wenig Tiefe heruntergeschrieben wurde. Axolotl Overkill ist ein sehenswerter Film, der jedoch mehr Unterhaltung bietet statt psychischer Ausnahmezustände. Schade drum, denn die Besetzung, die Bilder und der Schnitt hätten ein Kultobjekt wie das Buch schaffen können.

Wer sich in die musikalische Welt von Mifti einfühlen will, für den hat unsere Autorin den Soundtrack des Films hier zusammengestellt.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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